Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
Kopfschmerztabletten – ich bin durchaus lernfähig), den Einweisungen des Personals höre ich nur mit halbem Ohr zu, und als wir dann in den Gästeraum geführt werden, hoffe und bete ich inständig darum, nicht neben Julia gesetzt zu werden. Bitte, bitte, lieber Gott, wenn du den Teufel an einem anderen Tisch sitzen lässt, dann werd ich mich erkenntlich zeigen!
Das Dinner in the Dark macht seinem Namen wirklich alle Ehre – es ist so stockdunkel, dass man seine eigene Hand vor Augen nicht erkennen kann. Nicht mal Umrisse kann ich in der Finsternis ausmachen. Einer der Angestellten führt mich zu meinem Platz, und ich lasse mich unsicher auf meinen Stuhl sinken. Vorsichtig strecke ich meine Hand aus und ertaste Besteck, Glas und Serviette. Gut, das wäre schon mal die Hauptsache.
»Wer auch immer da rechts neben mir sitzt, hast du auch schon so Hunger?«, höre ich links von mir eine Stimme fragen. Es scheint Luise zu sein, die neue Redaktionsassistentin.
»Ja, und wie«, antworte ich, froh, einen halbwegs normalen Menschen an meiner Seite zu haben.
»Hoffentlich servieren sie nur kleine Portionen, ich bin nämlich auf Diät. Und Fleisch geht natürlich gar nicht, weil ich mich rein vegetarisch ernähre«, antwortet die junge Frau neben mir, die ich für Luise halte. Okay, mit diesem Statement hat sie mir meine Hoffnung auf einen normalen Menschen völlig zerstört. Vielleicht hat meine rechte Nachbarin mehr zu bieten?
»Na, hast du deine Appetitzügler schon eingeschmissen?«, zischt es plötzlich aus dieser Richtung. Ich zucke erschrocken zusammen. Hatte ich nicht darum gebeten, nicht neben Satan sitzen zu müssen? War ja klar, dass es so kommen musste. Vielen Dank auch!
»Nö. Ich hab nur gerade die Appetit anreger in dein Wasserglas geschmissen. Also kein Grund zur Sorge«, entgegne ich.
»Was?« Ich höre Julia in der Dunkelheit ein neues Glas ordern, woraufhin sich das kleine rote Licht, welches den Kellner und dessen Nachtsichtgerät kennzeichnet, blinkend auf unseren Tisch zubewegt. Ich grinse schadenfroh in mich hinein. Weil mein Magen knurrt, taste ich zaghaft nach dem Brotkorb. Ich bekomme eine ebenfalls tastende schlanke Hand zu greifen, und wir zucken gleichzeitig zurück.
»Das Brot wird gleich serviert«, informiert mich die männliche Stimme des Kellners hinter meinem Rücken, und ich lege abwartend meine Hände in den Schoß.
»Brot ist eh schlecht für die Figur«, mischt sich Satan wieder ein.
»Du musst es ja wissen.«
Kurzes Schweigen. »Jan zumindest steht auf schlanke Frauen.«
Aaaargh!
»Komisch, wie er dann ausgerechnet auf dich gekommen ist?« Meine Stimme bekommt jetzt einen bissigen Unterton.
»Ach was!«, höhnt Julia neben mir. »Du als seine beste Freundin solltest seinen Geschmack eigentlich am besten kennen.«
»Manchmal täuscht man sich eben in anderen Menschen. Auch wenn man lange Zeit geglaubt hat, sie besser zu kennen, als sich selbst – mit all ihren Träumen, Ängsten und Fehlern.« Ich schlucke schwer.
»Also ich konnte noch keinen einzigen Fehler an Jan entdecken. Außer vielleicht, dass er mit dir befreundet war. Und euren Ausrutscher …«
»Wie bitte?« , rufe ich entsetzt. Er hat ihr von unserem Kuss erzählt? Das kann doch nicht wahr sein!
Dann höre ich Julia lachen. »Hast du wirklich geglaubt, bei so einem Mann wie Jan landen zu können? Na ja, dass du an grenzenloser Selbstüberschätzung leidest, habe ich ja schon vor Monaten festgestellt. Du Möchtegern-Carrie-Bradshaw!« Julia lacht noch lauter, und irgendwo am Tisch fällt jemandem ein Glas um. »Du bist doch selbst schuld!«
»Ich bin schuld?«, rufe ich aus und werde lauter. » Du bist schuld, dass das mit mir und Jan kaputtgegangen ist! Wenn du nicht dazwischengekommen wärst, wäre bei uns inzwischen alles wieder in Ordnung! Und du … du liebst ihn ja noch nicht einmal! Du spielst nur ein geschmackloses Spiel, in dem du ihn dazu benutzt, um mir zu schaden! Nur weil du eifersüchtig auf diese Jobgeschichte bist! Dabei hättest du die Papergirl-Kolumne ja weiterschreiben können, wenn du dich etwas mehr angestrengt und gute Texte abgeliefert hättest! Und dein größter Fehler: Du hast mich verpfiffen! Wenn du dir das gespart hättest, dann würde ich jetzt immer noch irgendwo Fenster putzen, und du könntest dich darüber totlachen!« Inzwischen schreie ich fast, merke dabei aber nicht, dass es um uns herum plötzlich mucksmäuschenstill geworden ist. Alle scheinen uns fasziniert
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