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Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Titel: Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Wolf
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deutlich zu hören sein!«, setzt meine Mutter nach.
    Genervt zische ich Moritz zu: »Ich höre tatsächlich was ticken. Aber das befindet sich meist in herrenlosen Koffern auf Flughäfen oder in Briefen und ist definitiv keine Uhr …«
    »Wie gut, dass wir einen Sprengstoffspürhund bei uns haben.« Er macht eine Kopfbewegung zu Caruso hinüber. »Der wird mir Alarm schlagen, bevor du Amok läufst, sodass ich das Schlimmste vielleicht noch verhindern kann.«
    »Wenn das so weiter geht, kann gar nichts mehr verhindert werden!«, erwidere ich flüsternd, ramme meine Gabel etwas zu kraftvoll in meinen Kuchen und widme meine Aufmerksamkeit wieder meiner hysterischen Mutter.
    »Und was, wenn es plötzlich zu spät für die Kinderfrage ist? Weil unsere Kinder einfach zu lange gewartet haben?«, verdeutlicht sie ihrem Mann den Sachverhalt.
    »Macht nichts«, mischt Moritz sich ein. »Zurzeit liegen Adoptionen unheimlich im Trend. Was früher Briefmarken waren, sind heute Kinder. ›Ich war in Kambodscha, da habe ich dieses Kind mitgebracht. Und das Kind hier ist von meinem letzten Afrikatrip. Und dieses Kind habe ich aus der Mongolei – fast hätte es mir Angelina Jolie weggeschnappt!‹« Mein Bruder versucht angestrengt, ein ernstes Gesicht zu machen.
    »Stimmt, das sehe ich auch so«, pflichte ich ihm trocken bei. »Im Notfall kann ich mir ja auch einfach einen zweiten Hund anschaffen.« Caruso spitzt besorgt die Ohren, doch als ich ihm verschwörerisch zuzwinkere, seufzt er zufrieden auf. Und ich lasse nicht nach: » Ich jedenfalls habe keine Lust, schwanger zu sein! Damit verdirbt man sich total die Figur, kriegt Hängebrüste, und nicht nur der Bauch leiert aus – ich kann mir vorstellen, dass auch die …«
    »Schon gut!«, unterbricht mich meine Mutter unwirsch und verschwindet kurz, um eine neue Kanne Kaffee zu holen. Mein Bruder und ich grinsen uns verschwörerisch an.
    »Nur das Kindergeld wäre nicht zu verachten gewesen«, bemerke ich gedankenverloren.
    Das hat der Hausdrache natürlich gehört. »Apropos Geld … Erzähl doch mal, was du jetzt eigentlich genau arbeitest!«
    Ich hebe verwundert den Kopf, als ich feststelle, dass mich alle Anwesenden abwartend ansehen. »Ähm …«, stottere ich.
    »Vicky schreibt«, springt mein Bruder für mich ein.
    »Tatsächlich? Für die Zeitung?«, fragt Papa erstaunt.
    »Ja«, nicke ich.
    »Und was genau schreibst du?«, will Mama wissen.
    »Nun ja …«
    »Todesanzeigen.«
    »Was?« Jetzt sehen wir alle zu Moritz.
    Und dann blickt Mama irritiert in meine Richtung, »Du schreibst Todesanzeigen ?« So wie sie dieses Wort formuliert, muss man sich bei ihr wahrscheinlich auch noch fürs Sterben schämen.
    »Warum nicht?«, springe ich auf Moritz’ Zug auf. »Gestorben wird schließlich immer, es ist ein Job mit Perspektive!«
    »Also ich weiß nicht …« Unglücklich zupft Mutter an dem Häkeluntersetzer der Kaffeekanne herum.
    »Ach komm, ich finde das toll!«, mischt sich jetzt mein Vater ein. »Jeder liest Todesanzeigen! Das ist doch die beliebteste Rubrik in der Zeitung! Da muss man erst mal hinkommen!« Betretene Stille. »Also, ich meine, um dafür schreiben zu dürfen. Nicht, um namentlich in einer Anzeige aufgeführt zu sein«, verbessert sich Papa und räuspert sich verlegen.
    Ich und Moritz kichern, und unsere Mama seufzt so schwer, dass es scheint, als würde sie uns gerade gedanklich aus ihrem Testament streichen.
    »Und davon kann man leben?«, fragt sie dann skeptisch.
    »Na ja…« Ich schlucke meinen Rest Kuchen hinunter. »… zumindest besser als die, über die ich schreibe.«
    Ich liege im Gästezimmer meiner Eltern, rechts von mir schnarcht Caruso auf einer Wolldecke, links von mir auf der anderen Bettseite tut es ihm Moritz gleich. Ich darf das laute Sägen, Röcheln und Grunzen also Stereo genießen, wie schön. Natürlich kann ich so kein Auge zukriegen und liege jetzt schon seit zwei Stunden wach. Dabei habe ich die Arme unter meinem Kopf verschränkt und starre an die Decke.
    Irgendetwas fehlt mir, und zwar sehr. Eigentlich kann man es schon Sehnsucht nennen, denn dieses ziehende Gefühl ist so klar und deutlich, dass es alle anderen Emotionen vehement in den Hintergrund drängt. Aber wen vermisse ich eigentlich so sehr? Und was? Ich denke an Severin, sehe ihn in seiner flotten Mütze, der speckigen Lederjacke und seinen ausgetretenen Chucks vor meiner Tür stehen, stelle mir sein Gesicht vor, denke an seine blitzenden Augen, blau wie

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