Kann ich gleich zurueckrufen
mitgenommen, sodass ich eine halbe Stunde für mich hatte. Ich habe die Wäsche aus der Maschine geholt und in den Trockner gesteckt. Dann habe ich die Post geöffnet, die sich seit Tagen ungelesen auf dem Küchentisch gestapelt hat: Rechnungen, Werbung und der Elternbrief 29 , der mir vom Stadtjugendamt alle paar Monate zugeschickt wird. Diesmal ist die Rede vom Bewegungsdrang der drei- bis vierjährigen Kinder. Mit dem Hinweis, Kinderturnen und Ähnliches sei nur ein zusätzliches Angebot für Kinder – sie müssten auf den Spielplatz, auf Wiesen und in Parks, auch bei Schmuddelwetter, um sich richtig austoben zu können. Und: Bei Spielen mit vollem Körpereinsatz sind besonders die Väter tolle Herausforderer!
Immer wenn ich solche Erziehungsratgeber lese, werde ich unsicher. Soll ich das mit dem Kinderturnen sein lassen, weil es pädagogisch gesehen das Falsche für meinen Sohn ist? Ich habe ja den Eindruck, dass es ihm gefällt. Und wollte gerne neben dem Kinderturnen noch etwas anderes für ihn finden. Außerdem macht es auch mir Spaß. Mehr als immer nur auf dem Spielplatz herumzuhängen – Wiesen gibt es in der Stadt nicht. Und statt in den Park voller Hundekot auf dem Rasen und rastenden Senioren auf den Bänken, die uns mit strengen Blicken und Bemerkungen über Kinder und Lautstärke aufregen, gehe ich lieber ab und zu an den Fluss mit meinem Sohn. Da ist das Toben zwar gefährlich, aber wir sind naturverbunden, und vielleicht stärkt das Steine-ins-Wasser-Werfen ja die Muskulatur.
Nach der Unsicherheit kommt dann der Zorn. Dass nur ein Vater richtig toben kann, stimmt einfach nicht. Und bei uns ergibt sich ein Vater-Sohn-Toben auch nicht jeden Tag. Abends, vor dem Schlafengehen, ja, da spielen die beiden schon oft. Mein Mann bringt den Kleinen auch oft ins Bett. Dabei wird aber nicht immer mit vollem Körpereinsatz gespielt. Ich mag solche Rollenzuteilungen einfach nicht. Ich kann auch rennen. Und Bälle werfen. Und hüpfen. Ebenso wie mein Mann kuscheln kann.
Nach einer Dreiviertelstunde Fahrt erreichen wir den Parkplatz des Märchenparks. Die Sonne scheint. Tika, mein kleiner Indianer, zieht bereitwillig die Turnschuhe an und den Federschmuck aus. Mein Mann kauft ein Familienticket für 45,00 Euro: Wir können bis sechs im Märchenpark bleiben und dürfen so viel fahren, wie wir wollen: mit Schneewittchens gläserner Achterbahn, der Pferdchen-Eisenbahn, der Bergwerkbahn der Sieben Zwerge, vier verschiedenen Karussells mit Wolf und Geißlein, Gänsen und Liesl und anderen Figuren.
Mein Sohn zeigt auf einen großen Holzindianer. »Siehst du, Mama. Keine Turnschuhe«, sagt er. Und lacht. Weil er mir ansieht, dass ich eine weitere Schuhkrise befürchte. »Du Schlingel«, sage ich und lache auch. Mir fällt ein, dass ich zu Hause vergessen habe, noch einmal bei meiner Mutter anzurufen. Ich nehme das Handy und wähle ihre Nummer, erreiche sie aber nicht. Und dann ist das Zeitfenster für mögliche Telefonate auch schon geschlossen. »Du sollst nicht telefonieren«, sagt mein Sohn und zieht mich an der Hand zu einem Karussell. Ich besteige den bösen Wolf. Der Kleine klettert auf ein Geißlein, mein Mann holt den Fotoapparat aus dem Rucksack. Fünf Runden später gehen wir weiter zu einer kleinen Achterbahn. Diesmal ist mein Mann an der Reihe. Gemeinsam mit dem Kleinen klettert er in eine Gondel. Ich winke den beiden zu und setze mich auf eine Holzbank. Ein herrlicher Frühlingstag, die Bäume blühen, ich kann Flieder riechen, Amseln hören und nackte Frauenbeine unter kurzen Röcken sehen.
Eine sichtlich Schwangere geht mit einem vielleicht vierjährigen Kind an mir vorbei. Das Kind zieht an der Hand der Mutter, sie kommt aufgrund ihrer Leibesfülle kaum hinterher. Meine Gedanken kreisen wieder um ein zweites Kind. Was wäre dann mit der Arbeit? All die mühsam errungenen Strukturen – würden die auch zwei Kindern standhalten? Immerhin, in Sachen Kita könnte ich den Vorteil des Geschwisterkindes geltend machen. Mir würde eine neue Suche erspart bleiben.
Vielleicht bin ich ja schon schwanger. Ich klicke in meinem Handy zum Kalender, um zu sehen, wann meine letzte Blutung war. Vor drei Wochen. Aber möglich wäre es ja trotzdem. Ich stelle mir vor, wie mein Vorgesetzter auf die Nachricht reagieren würde. Mit einem »Das habe ich kommen sehen«? Oder vielleicht ein »Ich bin froh, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das Sie ermuntert, Kinder zu bekommen«? Es fällt mir schwer, ihn einzuschätzen, und
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