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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Streidl
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sicher wird sich seine Reaktion auch danach richten, ob die junge Kollegin ihr Kind behält oder nicht. Mir hat mein Chef beim letzten Mal gratuliert, damals vor fast vier Jahren. Aber er war trotzdem relativ kurz angebunden, hat unser Gespräch ziemlich schnell beendet und mich auf spätere Termine vertröstet. Vielleicht weil er geschockt war. Vielleicht weil er selbst Bedenkzeit haben wollte.
    Neben dem »B« für »Blutung« steht in meinem Kalender auch eine Notiz »Elternzeit«. Das hatte ich völlig vergessen – vor drei Wochen ist meine Elternzeit abgelaufen!
    Unser Sohn rennt begeistert auf mich zu. Die erste Achterbahnfahrt seines Lebens hat ihm so gut gefallen, dass er gleich noch mal fahren will. Und dann noch mal. Zuerst wieder mit meinem Mann, dann mit mir. Ich bleibe auf der Bank sitzen und erhole mich von dem kleinen Schock: Meine Elternzeit ist abgelaufen.
    Ich bin die erste Frau in meiner Abteilung, die nach einer Entbindung wieder zurück an ihren alten Platz gekommen ist – es gibt überhaupt wenig Mütter im Büro, und die, die es gibt, haben große Kinder wie die ältere Grafikerin. Ich bin nicht nur die Erste, die wiedergekommen ist, ich bin auch die Erste, die die Familienteilzeit, die mir ja arbeitsrechtlich zusteht, in Anspruch genommen hat. 30 Immerhin das habe ich vor der Geburt meines Sohnes mit meinem Vorgesetzten vereinbaren können: dass ich zwölf Monate nicht komme und dann vierundzwanzig Monate verkürzt arbeite.
    Im ersten Abschnitt meiner Elternzeit habe ich Elterngeld erhalten. Ich habe drei Jahre lang Kündigungsschutz genossen. Seit einem Monat ist dieser rechtlich geschützte Zeitraum aber vorüber, wie ich gerade festgestellt habe. Unser Sohn ist vor gut drei Wochen drei Jahre alt geworden. Deshalb muss ich dringend ein Gespräch mit meinem Vorgesetzten über eine eventuelle Neuausrichtung meiner Stelle führen. Der Vorgesetzte kann mich verpflichten, wieder auf Vollzeit zu gehen. Denn wie heißt es so schön im Familien-Wegweiser des Familienministeriums 31 : Wurde die Arbeitszeit während der Elternzeit reduziert, gilt nach deren Ende wieder die frühere Arbeitszeit .
    Ob der Vorgesetzte auch »Elternzeit« in seinem Kalender stehen hat, kombiniert mit meinem Namen? Sicher hat er solche Termine automatisch auf Wiedervorlage. Und vielleicht hat er mich deswegen so kritisiert vorgestern, als Warm-up für ein unangenehmes Gespräch.
    Da kommen Mann und Sohn zurück. Der Kleine ist immer noch aufgeregt wegen der Achterbahnfahrt. Er will jetzt unbedingt mit mir fahren. Ich frage meinen Mann, ob die Achterbahn gut für Loopinggreenhorns sei. »Keine Loopings, keine schnellen Kurven. Du musst keine Angst haben«, sagt er. Also setze ich mich neben meinen Sohn in Schneewittchens gläserne Achterbahn. Die Wagen haben in Anlehnung an Schneewittchens Glassarg durchsichtige Wände und Böden. Wir können meinen Mann von oben sehen. Er sitzt auf der Bank und winkt. Er hat recht, keine Loopings, keine schnellen Kurven. Eine gute Kinderachterbahn. Und eine gute Achterbahn für ängstliche Mütter wie mich.
    Der Vormittag vergeht schnell. Mein Sohn reitet auf allen drei kleinen Schweinchen, fährt mit einer Dampflok und lacht mit uns über die Mützen der sieben Zwerge. Dann machen wir auf einer Bank Brotzeit und essen belegte Semmeln und Apfelstücke. Ich versuche noch einmal, meine Mutter zu erreichen. Sie geht nicht ans Telefon. Ich finde wieder einen Grund dafür, diesmal stelle ich sie mir auf einem langen Spaziergang am Fluss vor. Vielleicht mit ihrer Nachbarin. Oder einer Theaterbekanntschaft. Doch eigentlich glaube ich das gar nicht. Stattdessen ist mir längst klar, dass etwas passiert sein muss. Ich schiebe diese ganzen Erklärungen vor, die das Leben meiner Mutter zu einer farbenprächtigen Bilderbuchidylle machen, um mir nichts Schlimmes ausmalen zu müssen. Dabei wächst das Gefühl, dass das, was passiert ist, etwas sehr Schlimmes ist, mit jeder Minute, die ich sie nicht erreiche.
    »Tika will Ach-Bahn fahren!« Mein Sohn zieht an meiner Hand. Ich schiebe das Handy in die Tasche und die Gedanken an meine Mutter beiseite.
    13:00 Uhr – der Kleine will Pommes essen. Mit Ketchup. Wir gehen zum Restaurant in der Mitte des Märchenparks und setzen uns an einen Terrassentisch. Wir sind in einem Kindervergnügungspark, deswegen gibt es hier nicht nur einen Hochstuhl für kleine Kinder, sondern zehn. Der Tisch ist bunt und die Speisekarte absolut kinderfreundlich: drei

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