Kanonendonner über der Adria
Alle schauten den marschierenden Soldaten, dem grüßenden Oberst und den winkende Tänzerinnen zu. Aber als die Kanonenboote schon hundert Meter vom Ufer entfernt waren, blickte doch einer zum Kai und schrie los.
David ließ die Barkasse aus dem Schilf rudern und die Karronaden auf den Kai richten. Falls dort jemand versuchen sollte, Gewehrsalven zu organisieren, würde er es bereuen. Aber der Oberst schwenkte nur seinen Hut, ließ die Besatzungen wieder antreten, ließ sogar das Orchester einen neuen Marsch anstimmen, aber zur Abwehr oder zum Angriff unternahm er nichts.
Die britischen Kutter mit ihren Prisen wurden vor der Küste von ihren Schiffen mit Hurrarufen begrüßt. Kapitän Markwood gratulierte David.
»Ach, wissen Sie, Mr. Markwood, unsere Leute haben alles fehlerfrei absolviert, und wenn wir öfter solche Gegner hätten wie diesen Operettenobersten, dann hätten wir den Krieg schon längst gewonnen. Doch leider werden wir eine so verrückte Kaperung in unserem Leben nicht noch einmal erleben.«
Es wurde an diesem Abend viel gelacht auf der Milford. Immer wieder erzählte einer der Teilnehmer noch eine lustige Einzelheit von der ganzen Inszenierung, und alle konnten sich kaum halten vor Lachen. Mit fortschreitendem Alkoholgenuss konzentrierten sich die Erzählungen mehr auf die Tänzerinnen. Sie malten sich aus, dass man doch auch die Tänzerinnen hätte kapern können. So lustig war der Krieg schon lange nicht.
David hörte das Gelächter, war aber einsam und ernst. Er dachte an Maria Charlotta. Sein Schiff hatte Kurs auf Rijeka. Es war nicht ausgeschlossen, dass er sie dort traf. Und Mr. Cankar, den er am Schluss ihrer Unterredung gefragt hatte, ob er die Prinzessin Reabandini kenne, hatte eine etwas rätselhafte Antwort gegeben.
»Eine wunderschöne, sehr intelligente und unermesslich reiche und daher auch mächtige Frau, Herr Admiral. Sie tut viel für elternlose Kinder und kinderlose Greise. Aber man hat bei ihr nie das Gefühl persönlicher Nähe. Ich wusste nie, woran ich bei ihr war, ob sie meine Vorschläge nützlich oder raffgierig fand.«
David wusste ja auch nicht, woran er bei ihr war. Was wollte sie von ihm? Sie hatte ihm Avancen gemacht, angereichert mit zärtlichen Erinnerungen. Und dann dieser lächelnde Schlag, dass sie einen gemeinsamen Sohn hatten. Was wollte sie? Und vor allem: Was wollte er?
Wollte er dem leidenschaftlichen Begehren für ein kurzes Abenteuer nachgeben? Könnte er dann noch zurück? Würde er Britta wirklich nie verlassen können? David starrte auf die dunkle See, wo hin und wieder heller Schaum aufblinkte. Was wollte er denn eigentlich? Und je mehr er seine Gefühle erforschte, desto mehr nahm Britta Besitz von ihm. Nun ja, in dem Sektor ›Abenteuer, Leidenschaft‹, da spielte Maria Charlotta eine starke Rolle. Aber wenn es um innige Liebe ging, um gemeinsame glückliche und traurige Erlebnisse, um das Vertrauen, das man sich gegenseitig entgegenbrachte, um die erprobte Wertschätzung, um die Verbundenheit in den Kindern, dann stand immer Britta vor seinem Auge. Wie viel verdankte er ihr in seinem Leben? Nein, er war kein liebestoller Jüngling mehr, der das alles aufs Spiel setzen würde. Er hatte viele gefährliche, ja verzweifelte Situationen in seinem Leben gemeistert. Verdammt noch mal, er würde doch wohl auch mit dieser Versuchung fertig werden!
Er rief nach Larry und ging mit ihm kurz an Deck. Nun würde er schlafen können.
Rijeka empfing sie im Schmuck österreichischer Fahnen und mit dem Salut für einen verbündeten Admiral. Die Milford erwiderte den Gruß, und die Seesoldaten marschierten am Kai auf, um ihren Admiral zu geleiten.
»Na, dann zeigt ihnen mal, was britische Exaktheit ist!«, rief David den Soldaten zu und sie strahlten. Aber ihre Gesichter wurden ernst, als in der Stadt auf einmal Gewehrschüsse knallten.
»Es sind noch Versprengte oder Guerillas in der Stadt. Lassen Sie die Gewehre laden«, befahl David dem Leutnant. Aber dann marschierten sie mit Pfeifen und Trommeln ihren Weg, und der Dudelsackpfeifer und die exakten Bewegungen der Seesoldaten erregten wieder die Bewunderung der Zuschauer.
Sie hatten den Stadtturm passiert und marschierten auf das alte Römische Tor zu, hinter dem das Rathaus lag, als aus Richtung der Kirche Maria Himmelfahrt Schüsse erklangen. Da sich die Straße krümmte, konnte David nicht übersehen, was dort geschah.
»Lassen Sie halten und die Gewehre schussbereit nehmen«, bat David den Leutnant.
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