Kanonenfutter
Befehlsverweigerer starrte ihn trotzig an, eine magere Gestalt in halb zerrissenem kariertem Hemd und Seemannshose.
»Was ist los mit Ihnen?« Bolitho mußte schreien, um sich in dem Getöse verständlich zu machen.
»Ich kann nicht!« schrie der Mann zurück und schüttelte wild den Kopf. »Kann nicht!«
Gerade kämpfte sich Little fluchend vorbei und schleppte mit dem Bootsmann neues Tauwerk als Reserve für den Großmast heran.
Er brüllte: »Ich hieve ihn persönlich nach oben, Sir!« Bolitho aber rief dem Matrosen zu: »Helfen Sie unter Deck an den Pumpen!«
Zwei Tage danach wurde der Mann als verschwunden gemeldet. Eine sorgfältige Durchsuchung des Schiffes blieb ergebnislos.
Little hatte seine Ansicht zu erläutern versucht. »Die Sache ist so, Sir: Sie hätten ihn zum Aufentern zwingen sollen, selbst wenn er dann abgestürzt wäre und sich die Knochen gebrochen hätte. Oder Sie hätten ihn zur Bestrafung melden müssen. Er hätte drei Dutzend Schläge bekommen, aber das hätte ihn zum Mann gemacht.«
Zögernd mußte Bolitho Little recht geben. Er hatte den Stolz des Mannes verletzt. Seine Kameraden hätten mit ihm gefühlt, wenn er auf der Gräting festgebunden und ausgepeitscht worden wäre. So aber traf ihn nur Verachtung, und das war mehr, als dieser eigenbrötlerische und halsstarrige Matrose ertragen konnte.
Auch am sechsten Tag hielt der Sturm noch an und machte sie durch seine Heftigkeit mutlos und benommen. Zerrissene Segel wurden ausgetauscht, und das Reparieren von Schäden und immer wieder nötige Aufklaren an Deck verhinderten jeden Gedanken an eine Ve rschnaufpause.
Inzwischen wußte jedermann an Bord, wohin die Reise zunächst ging: zur portugiesischen Insel Madeira. Aber der Anlaß blieb weiterhin ein Geheimnis. Außer für Rhodes, der streng vertraulich mitteilte, daß sie dort lediglich einen ordentlichen Vorrat Wein für den persönlichen Bedarf des Schiffsarztes übernehmen wollten.
Dumaresq hatte den Bericht über den Tod des Matrosen offenbar im Logbuch gelesen, aber Bolitho nicht daraufhin angesprochen. Auf See kamen mehr Männer durch Unfälle um als durch Kugeln und Enterbeile.
Doch Bolitho fühlte sich schuldig. Little und Forster, ihm an Lebensjahren und Erfahrung weit voraus, hielten seiner Meinung nach nur zu ihm, weil er ihr Vorgesetzter war.
Forster hatte lediglich bemerkt: »Tja, wir waren in dem Augenblick vielleicht nicht ganz auf Draht, Sir.«
Und alles, was Little dazu sagte, war: »Hätte schlimmer kommen können, Sir.«
Es war erstaunlich, welche Wandlung die schließliche Wetterbesserung brachte. Das Schiff erwachte wieder zum Leben, und die Männer packten zu, ohne sich erst ängstlich umzuschauen oder sich mit beiden Händen an den Wanten festzuklammern, wenn sie aufentern sollten.
Am Morgen des siebten Tages, als die Düfte aus der Kombüse zu ersten Wetten verführten, was es wohl zu essen gab, rief plötzlich der Ausguck im Vortopp: »An Deck! Land in Sicht! Land voraus in Lee!« Bolitho hatte gerade Wache und bat Merrett, ihm ein Fernrohr zu bringen. Der Midshipman sah nach dem Sturm und einer Woche härtester Anstrengungen aus wie ein geschrumpfter alter Mann, aber er war noch ganz munter und kam beim Wachwechsel nie zu spät.
»Lassen Sie mich sehen.« Bolitho richtete das Fernrohr durch eine Lücke in den schwarzen Wanten in die vom Ausguck gemeldete Richtung.
Dumaresq Stimme ließ ihn zusammenfahren. »Das ist Madeira, Mr. Bolitho. Eine zauberhafte Insel.«
Bolitho tippte an seinen Hut. Für einen Mann seiner Statur bewegte der Kommandant sich erstaunlich geräuschlos.
»Es – hm – entschuldigen Sie, Sir.«
Dumaresq lächelte und nahm das Teleskop aus Bolithos Händen. Während er es auf die ferne Insel richtete, sagte er: »Als ich Wacho ffizier war, habe ich immer dafür gesorgt, daß ein Mann meiner Wache aufpaßte und mich warnte, wenn der Kommandant auftauchte.«
Er sah Bolitho an, wobei seine weit auseinanderstehenden, durchdringenden Augen irgend etwas in ihm zu suchen schienen. »Aber Sie machen so etwas natürlich nicht, nehme ich an. Noch nicht.«
Er übergab Merrett das Glas und setzte hinzu: »Schließen Sie sich mir an. Etwas Bewegung ist gut für das innere Gleichgewicht.«
So marschierten Kommandant und jüngster Offizier der Destiny gemeinsam auf der Luvseite des Achterdecks auf und ab, wobei sie automatisch den Ringbolzen im Deck und den Taljen der Kanonen auswichen.
Dumaresq erzählte von seiner Heimat in Norfolk,
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