Kantaki 04 - Feuervögel (Graken-Trilogie 1)
geistige Augen die Bilder betrachteten, hörten seine mentalen Ohren gleichzeitig Dutzende oder Hunderte von Stimmen, die Inhalt und Bedeutung beschrieben. Und das war erst der Anfang. Je besser Tako mit dem intuitiven Datenzugriffssystem des Ganzkörperbionen umzugehen lernte, desto deutlicher wurde die Vorstellung von seinem Leistungspotenzial. Das erweiterte Bewusstsein war imstande, sich gleichzeitig mit bis zu tausend verschiedenen Themenbereichen zu befassen, in ihnen gezielt nach Informationen zu suchen oder einfach nur allgemeine Datenströme aufzunehmen.
Eine Zeit lang ließ Tako seine Gedanken treiben, ritt auf Wellen aus Daten und tauchte tief in ein Meer aus Wissen. Er beschränkte sich darauf, Dinge flüchtig zu betrachten und nur kurz zu lauschen, anstatt aufmerksam zuzuhören. Es gab einfach zu viel zu sehen, zu viel zu bestaunen. Während er Eindrücke sammelte, bemerkte er Strukturen: Querverweise, Verbindungen zwischen Themen, wissenschaftliche Bezüge und historisch gewachsenes Wissen wie geometrische Figuren im scheinbaren Durcheinander. Oder wie Gebäude, nicht von Architekten geplant, sondern von Wissenschaftlern, Gelehrten und Philosophen errichtet. Aber in manchen dieser Gebäude fehlten Stockwerke.
Die fehlenden Stellen boten Tako erste Hinweise. Er gab das ziellose Umhertreiben auf, konzentrierte sich und bekam sofort wieder das Gefühl von zielgerichteter Bewegung. Bilder und Stimmen reduzierten sich erneut auf Farben und Flüstern, und er verharrte in einem Bereich, der fast nur vages Grau enthielt: die erste Große Lücke.
»Wie konnte es dazu kommen?«, fragte er leise.
Elvin erschien neben ihm. »Über die Gründe können wir nur Vermutungen anstellen«, sagte der KI-Avatar. »Das Wissen um sie ging zusammen mit allen anderen Informationen verloren.«
Tako wünschte sich Klarheit, und der GK-Bion gab diesen Wunsch weiter. Farben und Stimmen verschwanden ganz, und in der dunklen Leere entstand ein komplexes dreidimensionales Struktogramm mit Zeitangaben. Ein Gedanke holte es näher heran.
Elvin deutete auf leere Stellen in ansonsten vollen Bereichen. »Wie Sie sehen, ging immer wieder Wissen verloren, meistens aufgrund von planetaren oder stellaren Katastrophen, die Aufzeichnungen zerstörten. In einigen wenigen Fällen lag es an Kriegen oder am Zerfall der Speichermedien.«
»Aber zweimal in der bekannten galaktischen Geschichte kam es zu einem umfassenden, massiven Verlust von Wissen.« Tako deutete auf zwei fast völlig leere Stellen, die eine ziemlich weit oben, die andere ein ganzes Stück weiter unten. »Zum ersten Mal vor achttausend Jahren. Und dann noch einmal kurz vor Beginn des Grakenkriegs, vor fast eintausendzweihundert Jahren. Die beiden so genannten Großen Lücken. Die erste Lücke umfasst einen Zeitraum von drei Jahrtausenden, über den praktisch nichts mehr bekannt ist. Die zweite beschränkt sich auf ein Jahrhundert. Eigentlich sind es nicht zwei große Lücken, sondern eine große und eine kleine.«
»Sie verdanken ihre Bezeichnung nicht der zeitlichen Ausdehnung, sondern der räumlichen«, sagte Elvin. Der würdevolle alte Mann stand neben Tako im sensorischen Nichts. »Der Verlust des Wissens betraf nicht nur die Menschheit, sondern alle bekannten Völker.«
Tako wandte den Blick nicht vom Struktogramm ab, als er erneut fragte: »Wie konnte es dazu kommen? Was hat Informationen in einem solchen Ausmaß vernichtet?«
Der KI-Avatar hob die Hand, woraufhin die schematische Darstellung verschwand. Das Grau des Datenraums kehrte zurück, und mit ihm die Farben und flüsternden Stimmen. »Es gibt zahlreiche Theorien, die die beiden Großen Lücken zu erklären versuchen, und dies sind einige davon.«
Worte und Bilder strömten Tako entgegen, berichteten von kosmischen Ereignissen, die die ganze Galaxis betrafen, unter ihnen Supernova- oder Hypernova-Kettenreaktionen und Veränderungen der galaktischen Konstanten.
Takos Wahrnehmung zeichnete sich durch eine nie gekannte geistige Klarheit aus. »Wenn Wissen aufgrund katastrophaler Veränderungen im galaktischen Ambiente verloren ging, so müssten sich selbst heute noch, nach so langer Zeit, Hinweise darauf finden lassen. Gibt es solche Spuren?«
»Nein«, antwortete Elvin sofort. »Doch nur weil solche Hinweise fehlen, sind galaxisweite Katastrophen nicht ganz ausgeschlossen. Allerdings räumt die moderne Forschung den Intentionsmodellen mehr Platz ein.«
Neue Bilder, neue Stimmen. Tako erfuhr von Theorien,
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