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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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seinem Parteifreund Erdogan ein gutes Stück distanzierte, beschrieb er damit in wenigen Worten präzise das Demokratieverständnis der Europäischen Union: Demokratie heißt eben nicht nur, dass man sich alle paar Jahre zur Wahl stellt und danach nur noch für seine eigenen Anhänger Politik macht, während sich der Rest des Volkes gefälligst ruhig zu verhalten hat. So ist das in Europa nicht gemeint mit der Herrschaft der Mehrheit. Die Minderheit verliert ihre demokratischen Rechte, einschließlich des Rechts auf Kritik nicht, nur weil sie bei einer Wahl unterlegen war. Nach unserem Demokratieverständnis ist eine Regierung auch für diejenigen zuständig, die sie nicht gewählt haben; sie hat die Pflicht, sich um alle Bürger zu kümmern, und muss mit ihren politischen Gegnern rechtsstaatlich korrekt umgehen. Auch bei uns in Deutschland sind Demonstrationen schon aus dem Ruder gelaufen, man denke nur an den überzogenen Polizeieinsatz bei den Protesten gegen »Stuttgart 21«. Auch dort wurden Wasserwerfer eingesetzt, und es gab viele Verletzte. Und auch dort stellte sich heraus, dass nicht »Chaoten« und »Randalierer« unterwegs waren, wie es die damalige baden-württembergische Landesregierung darstellte, sondern das schwäbische Bürgertum. Am Ende stürzte die Landesregierung über diese Ereignisse, und es gab eine Volksabstimmung (interessanterweise mit einem anderen Ergebnis, als es sich die Gegner erhofft hatten). Es wurden allerdings keine Sanitäter gezielt mit Tränengas beschossen oder Anwälte verhaftet. Und die Berichterstattung in den Medien war extrem kritisch. Darin liegen zentrale Unterschiede zu den Vorgängen in der Türkei. Dass dort aus einer zunächst lokalen Demonstration gegen ein einzelnes Bauvorhaben in Istanbul (eine Art türkisches Stuttgart 21) eine landesweite Protestbewegung wurde, in der sich mittlerweile ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen aus unterschiedlichen Motiven zusammenfinden, zeigt außerdem sehr deutlich, wie tief gespalten die türkische Gesellschaft ist. Da geht es nicht nur um ein Bauprojekt, da geht es um die grundsätzliche Ausrichtung des gesamten Staatswesens. Die Gegner eines EU -Beitritts der Türkei sehen sich durch diese Ereignisse in ihrer ablehnenden Haltung natürlich bestätigt. Die Befürworter allerdings auch. Sie meinen: Ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen wäre genau der falsche Weg. Denn gerade die Proteste zeigten, dass es in der Türkei eine starke demokratisch gesinnte Zivilgesellschaft gibt, die auf ihre Rechte pocht, und diese Kräfte gelte es zu stärken, anstatt sich von dem Land abzuwenden.
    Auf nach Schengen!
    Eine fast logische Konsequenz aus dem Zusammenwachsen der EU war der Wunsch nach vereinfachten Grenzüberquerungen. Der entsprechende Vertrag wurde 1985 im luxemburgischen Dörfchen Schengen unterschrieben. Deshalb heißt er »Schengener Abkommen«. Der Vertrag regelt, wie wir frei durch Europa reisen können, ohne lästige Passkontrollen. Am Anfang vereinbarten Deutschland, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Luxemburg einen Fahndungsverbund nach Straftätern und zugleich den Wegfall der Grenzkontrollen untereinander. Das war der »Schengener Raum«, in dem nur bei der Ein- oder Ausreise kontrolliert wird. Wer in einem der Schengen-Länder polizeilich gesucht wird, kann also entweder nur bei einer zufälligen Kontrolle geschnappt werden – nicht aber an den Grenzen zwischen den Schengen-Staaten. Weil nun jedoch allen beteiligten Ländern dieselbe Fahndungsliste zur Verfügung steht, kann ein in Deutschland gesuchter Schmuggler zum Beispiel schon bei der Einreise aus einem Nicht-Schengen-Land nach Frankreich gefasst werden. Denn an den Grenzen zu »Drittländern« sowie an den Flughäfen wird ja weiter kontrolliert.
    Am »Schengener Abkommen« nehmen mittlerweile 22 EU -Staaten sowie Island, Norwegen und die Schweiz teil. Immer wieder gibt es jedoch Kritik, dass die polizeiliche Zusammenarbeit noch nicht gut genug klappt. Dass die Polen aber immer noch in dem Ruf stehen, deutsche Autos zu klauen, ist nur noch ein sich hartnäckig haltendes Vorurteil. Dass an der Grenze zu Polen mehr Autos und landwirtschaftliche Maschinen gestohlen werden, liegt nicht daran, dass »der Pole« klaut. Es sind professionelle internationale Banden, die über Osteuropa die Diebesware weiterverschiffen, nach Russland, in die Ukraine, sogar bis in den Nahen Osten. Insgesamt ist die Zahl der Autodiebstähle in den letzten zwanzig Jahren in

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