Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
José Manuel Barroso, Amtsinhaber. Er wurde 2009 wiedergewählt, seine Amtszeit endet also ebenfalls 2014. Allerdings könnte er theoretisch erneut gewählt werden, Van Rompuy nicht. Der Kommissionspräsident hat großen Einfluss auf die Entwicklung der EU , und auch er vertritt sie nach außen. Lange Zeit war er sogar das einzige gesamteuropäische Gesicht, das man kannte.
Dass es in der EU ein eigentümlich konkurrierendes Nebeneinander von »hohen Posten« gibt, zeigte sich sehr augenfällig, als die EU 2012 den Friedensnobelpreis verliehen bekam. Da standen dann gleich drei Männer nebeneinander: der Ratspräsident, der Kommissionspräsident und der Präsident des Europäischen Parlaments.
Daneben gibt es inzwischen auch noch einen »Außenminister« der Europäischen Union, den die Amerikaner anrufen könnten, wenn sie mit Europa telefonieren wollen. Sein offizieller Titel ist in typischer EU -Manier klangvoll und länglich: Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik , die Amtszeit beträgt fünf Jahre. Während der Ratspräsident gewissermaßen der Vorsitzende der Staats- und Regierungschefs ist, ist der Hohe Vertreter sozusagen der Vorsitzende der europäischen Außenminister. Das klingt aber besser, als es ist. Die Machtfülle ist in beiden Ämtern sehr überschaubar.
Bei der Wahl von Ratspräsident und Hohem Vertreter kam übrigens auch mal wieder das Proporz-Prinzip zum Tragen, das in Europa mindestens so wichtig ist wie in der deutschen Politik: Da die Mehrheit der europäischen Regierungschefs zum Zeitpunkt der Ämtervergabe konservativ war, sollte ein konservativer Politiker Ratspräsident werden; die Wahl fiel auf den Christdemokraten Van Rompuy. Zum »Ausgleich« sollte der Hohe Vertreter ein Sozialdemokrat werden, außerdem sollte er aus einem großen Land kommen, wenn der Ratspräsident aus einem kleinen Land kommt. Doppel-Proporz also.
Man nahm die britische Labour-Politikerin Catherine Ashton, und alle waren zufrieden. Zunächst. Dann aber doch nicht mehr, jedenfalls nicht mit Ashton. Zwischendurch gab es sogar das Gerücht, sie würde vorzeitig abgelöst. 2011 ätzte der belgische Außenminister: »Wir können damit leben, dass manche schneller reagieren als Ashton. Aber nur unter der Bedingung, dass sie beweist, dass sie mittel- und langfristig an sehr wichtigen Themen (…) arbeitet. Aber auch das habe ich nicht gesehen.« In die gleiche Kerbe haute Italiens Staatspräsident: »Wir stehen vor einem unbefriedigenden Zustand der EU , was die internationale Politik betrifft. Wir durchleben Ereignisse mit unbekannten Folgen in Nordafrika und dem Nahen Osten, und angesichts dessen drückt die EU keine gemeinsame Position aus.«
Mrs. Ashton gilt als schwache europäische »Außenministerin«. Das mag auch an ihr selbst liegen. Proporz-Kandidaten sind halt selten die tollsten. Aber wenn die Europäer selbst nicht »mit einer Stimme sprechen« – wie soll dann ihre Hohe Vertreterin kraftvoll auftreten? Sie muss es ja allen recht machen, und darin liegt das Grundproblem in Europa. Oder wenn man es positiver formulieren will: die größte Herausforderung.
Wie wird Europa regiert?
Tatsächlich ist die Zahl der verschiedenen Ämter, Räte und Kommissionen groß und die Machtverteilung in der EU unübersichtlich. Die wichtigsten Institutionen im Überblick:
Der Europäische Rat besteht aus den Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedsstaaten. Außerdem nehmen Ratspräsident, Kommissionspräsident und Hoher Vertreter an den Sitzungen teil, haben aber kein Stimmrecht. Seit einiger Zeit darf der Präsident des EU -Parlaments zu Beginn der Treffen dabei sein und eine Rede halten, um die Position des Parlaments zu vertreten. Danach muss er allerdings den Saal verlassen. Wenn es nicht einen speziellen Gipfel in einem der Mitgliedstaaten gibt, trifft man sich in Brüssel, mindestens viermal im Jahr. Gemeinsam haben die 28 nationalen Regierungen die »Richtlinienkompetenz« in Europa, das heißt, sie legen gemeinsam fest, was die Europäische Union als Nächstes tun soll, oder handeln aus, wie ein bestimmtes Ziel erreicht werden kann. Sie sind sozusagen das Machtzentrum der EU , vor allem in der Außenpolitik und wenn es darum geht, zu entscheiden, ob man noch enger zusammenrückt, also die »Integration vorantreibt«, wie es so schön heißt. Die Staats- und Regierungschefs müssen bei den meisten wichtigen Entscheidungen bislang noch einstimmig beschließen, sich also
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