Kaperfahrt
abstoßen, aber es schien, als klebten ihre Haut und ihr Badeanzug am Beton und den Fliesen fest.
Spuckend kam Josh hoch. In seinen weit aufgerissenen Augen flackerte die nackte Panik, während ein erstes würgendes Husten seinen kleinen Körper durchschüttelte. Wasser und Speichel bildeten Bläschen auf seinen Lippen. Er brachte ein verzweifeltes »Mammi!« hervor, ehe sein Kopf abermals untertauchte.
Alana streckte die Arme aus und hatte dabei das Gefühl, als würden sie gleich aus den Gelenken herausspringen, doch sie konnte ihn nicht erreichen. Konnte sich nicht bewegen. Überall in der Nähe des Pools waren Menschen. Sie fläzten sich in Sesseln oder saßen am Beckenrand und tauchten die Füße ins kalte Wasser. Sie versuchte, sich bei ihnen bemerkbar zu machen, doch kein Laut drang über ihre Lippen. Sie bemerkten nichts von ihrer Not.
Josh’ Strampeln wurde matter. Sein langes Haar breitete sich um seinen Kopf aus und wiegte sich auf den Wellen wie ein Wassertier. Seine kleinen Hände waren zu Fäusten geballt, als kämpfe er darum durchzuhalten. Doch es gab nichts, was Alana hätte tun können. Das Filtersystem des Schwimmbeckens sog ihn von ihr weg. Ihre Arme schmerzten von der Anstrengung, ihn zu erreichen, und in ihrem Kopf dröhnte ein furchtbarer Schmerz – sie wusste, es war die Strafe dafür, dass sie eine schlechte Mutter war.
Ihr Baby war dem Tod geweiht.
Und auch sie starb.
Sie hätte sich einem solchen Schicksal widerspruchslos gebeugt, aber die Wirklichkeit war noch viel grausamer.
Dann tauchte sie aus ihrem Albtraum auf.
Der Schmerz in ihrem Kopf rührte daher, dass einer der Wächter sie geschlagen und sie für einen kurzen Moment das Bewusstsein verloren hatte. Ihre Arme schmerzten, weil sie von ihrem Arbeitsplatz weggezerrt worden war, wo sie kurz vorher noch eine dünne Brühe in die Teller der anderen Gefangenen geschöpft hatte. Ihr Rücken war taub vor Schmerz, weil der Boden mit grobem Schotter bedeckt war und der Mann, der sie hinter sich her schleifte, es offenbar eilig hatte.
Ein anderer Wächter rief dem Mann, der sie geschlagen hatte, etwas zu. Er hielt mitten im Schritt inne und ließ sie einfach fallen. Sie achtete nicht auf den heftigen arabischen Wortwechsel, sondern lag ganz still und hoffte gegen alle Vernunft, dass man sie vergaß.
Das Bild von ihrem ertrinkenden Sohn, das ihre Fantasie wachgerufen hatte, um ihre augenblickliche Lage noch unerträglicher zu machen, quälte sie wie ein dumpfer Schmerz in ihrer Brust. Josh war mittlerweile elf Jahre alt und nicht mehr der Fünfjährige, den sie in ihrem Albtraum gesehen hatte. Und er war ein hervorragender Schwimmer.
Das Wortgefecht zwischen den Männern wurde hitziger, bis sich ein dritter Mann einmischte. Sie wusste, dass er einer der Anführer in dem Arbeitslager war: Ein ruhiges Wort aus seinem Mund beendete die Diskussion abrupt. Der Mann, der Alana geschlagen hatte, versetzte ihr nun einen leichten Tritt gegen die Rippen, zog sie auf die Füße hoch und gab ihr ein Zeichen, ihren Platz an dem langen Tisch einzunehmen, der als Essensausgabe für die Gefangenen diente. Das Servicepersonal war ausnahmslos weiblich, während es vorwiegend Männer waren, die wegen ihrer Essensrationen anstanden, Männer, die sichtlich unter der Hitze litten. Ihre Kleider hingen in Fetzen an ihren ausgemergelten Gestalten herab, und ihre Wangen glichen dunklen Löchern.
Alana war noch keine Woche hier und wusste bereits, dass die meisten dieser armen Seelen schon seit Monaten an diesem Ort weilten. Sie sahen nicht viel besser aus als die Gefangenen, die während des Zweiten Weltkriegs aus den Konzentrationslagern der Nazis befreit worden waren.
Als sie wieder ihren Platz hinter dem langen Tisch einnahm, murmelte die Frau neben ihr etwas auf Arabisch. »Tut mir leid, ich verstehe Sie nicht.« Die Frau, die früher einmal wohlbeleibt gewesen war, wie man an den schlaffen Fleischlappen an ihrem Hals erkennen konnte, deutete erst auf Alanas Augen und dann auf den Tisch. Sieh nicht die Wächter an, versuchte sie ihr klarzumachen. Jedenfalls verstand Alana es so. Oder sie meinte, sie solle immer nur auf ihre Arbeit achten. So oder so nahm sich Alana den Rat zu Herzen – und als der nächste Gefangene vor ihr stand, hob sie den Blick gerade so weit, dass sie den Teller sah, den er in seiner zitternden Hand hielt.
Nachdem sie ihr Essen und eine Tasse mit Wasser, das heiß genug war, um sich daran die Zunge zu verbrühen, erhalten
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