Kaperfahrt
Wort«, sagte Kwan gepresst. Er schaltete das Mikrofon ein, und seine Stimme drang aus den Lautsprechern, die im ganzen Schiff verteilt waren. »Hier spricht der Kapitän. Alle Mannschaftsmitglieder versammeln sich sofort in der Kantine. Das gilt ausnahmslos auch für das diensthabende technische Personal.«
»Das reicht«, schnappte Hakeem und entriss ihm das Mikrofon. »Abdul, übernimm das Ruder.« Er richtete seine Pistole auf Maryweather und den Steuermann. »Ihr beide, rüber zum Kapitän.«
»Sie können doch nicht nur einen Mann ans Ruder stellen«, protestierte Kwan.
»Das ist nicht das erste Schiff, das wir kapern.«
»Nein. Ich glaube, das ist es wirklich nicht.« Ohne eine erkennbare Regierung wurde Somalia von rivalisierenden Warlords kontrolliert, von denen einige auf Piraterie verfallen waren, um ihre Armeen zu finanzieren. Die Gewässer dieses Landes am Horn von Afrika gehörten zu den gefährlichsten der Welt. Fast täglich wurden dort Schiffe angegriffen, und während die Vereinigten Staaten und andere Nationen auf Dauer Marineverbände in dieser Region stationierten, war dieses Seegebiet einfach zu groß, um jedes Schiff beschützen zu können, das an der Küste entlangfuhr. Piraten verwendeten gewöhnlich Schnellboote und holten sich auf den Schiffen Geld oder Wertgegenstände, aber was als simpler Diebstahl begann, hatte sich weiterentwickelt. Jetzt wurden Schiffe gekapert und entführt, ihre Ladungen hat man auf dem Schwarzmarkt verkauft und die Mannschaften in Rettungsbooten ausgesetzt, als Geiseln gefangen genommen und gegen Zahlung eines Lösegelds von Seiten des Schiffseigners freigelassen oder auf der Stelle getötet.
Im gleichen Maß, wie die Größe der angegriffenen Schiffe zugenommen hatte, waren die Angriffe selbst brutaler geworden. Hatten die Piraten anfangs nur kleine Küstenfrachter aufgebracht, so machten die Seeräuber mittlerweile Jagd auf Tanker und Containerschiffe und hatten einmal sogar einen Ozeankreuzer eine Viertelstunde lang mit Maschinengewehren beschossen. Vor Kurzem noch hatte ein Warlord damit begonnen, Druck auf andere Piraten an der Nordküste auszuüben, um sich eine sichere Operationsbasis zu schaffen, bis sich schließlich jeder Pirat in der Region seinem Befehl unterwarf.
Sein Name war Mohammad Didi. Er hatte während jener chaotischen Tage Mitte der 1990er in der Hauptstadt Mogadischu gekämpft, als die Vereinten Nationen versuchten, eine Hungersnot in dem von Dürre heimgesuchten Land zu verhindern. Er hatte sich einen Namen gemacht, indem er Lastwagen mit Lebensmitteln und anderen Notfallgütern plünderte, ehe sie die Krisengebiete erreichten. Doch dann war es die Black-Hawk-Down-Affäre, mit der er seinen Ruf endgültig festigte. Er hatte einen Angriff gegen eine amerikanische Stellung angeführt und mit einem RPG einen Humvee zerstört. Danach hatte er die Leichen der Soldaten aus dem brennenden Wrack geschleift und sie mit einer Machete in zahlreiche Stücke gehackt.
Nach dem ruhmlosen Rückzug des U. S. Marine Corps hatte Didi seine Machtbasis weiter ausgebaut, bis er einer von einer Handvoll Warlords war, die das Land unter Kontrolle hatten. Dann, im Jahr 1998, wurde er mit den Al-Qaida-Bombenattentaten auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania in Verbindung gebracht. Er hatte den Bombenlegern in den Wochen vor dem Attentat sicheren Unterschlupf gewährt und mehrere Männer als Beobachter an den Ort des geplanten Angriffs geschickt. Mit einer drohenden Anklage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag und der Belohnung von einer halben Million Dollar auf seinen Kopf wusste Didi ganz genau, dass es nur noch eine Frage der Zeit wäre, bis einer seiner Rivalen versuchen würde, sich diese Belohnung zu sichern. Daher gab er seinen Stützpunkt in Mogadischu auf und verlagerte seine Operationsbasis in eine von Sümpfen durchsetzte Küstenregion dreihundert Meilen weiter nördlich.
Vor seiner Ankunft wurden die meisten Piratenopfer sofort freigelassen. Es war Didi, der das System der Lösegeldforderungen ins Leben rief. Und wenn sie nicht akzeptiert wurden oder die Verhandlungen ergebnislos zu verlaufen drohten, ließ er die Schiffsbesatzungen gnadenlos töten. Es gab Gerüchte, dass er eine Halskette aus Zähnen mit Goldfüllung trug, die von jenen Männern stammten, die er eigenhändig ermordet hatte. Und es war Didi, dem die Piraten, die den alten Frachter gekapert hatten, den Treueid geschworen hatten.
Hakeem und einer seiner
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