Kaperfahrt
befand sich längst außer Reichweite.
Er kehrte auf die Kommandobrücke zurück, um sich eine kubanische Zigarre zu gönnen, die er aus der Kabine des Kapitäns mitgenommen hatte. Die Sonne sank schnell über dem Horizont und verwandelte den mächtigen Ozean in eine riesige funkelnde Bronzeplatte. Hakeem und seine Bande hatten jedoch keinen Sinn für die Schönheit der Abenddämmerung. Sie lebten in einer Welt, in der alles nur nach dem praktischen Wert, den es für sie hatte, beurteilt wurde. Einige würden dem vielleicht entgegenhalten, dass sie das Produkt ihres vom Krieg verwüsteten Landes waren und dass sie nie eine Chance gehabt hätten, ihre von Brutalität geprägte Kindheit und Jugend zu überwinden. Die Wahrheit war jedoch, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung Somalias in seinem ganzen Leben niemals einen Schuss abgefeuert hatte und dass die Männer, die sich mit einem Warlord wie Didi verbündeten, es taten, weil sie die Macht über andere – wie die Mannschaft dieses Schiffes –, die ihnen dieses Bündnis verschaffte, in vollen Zügen auskosten konnten.
Er liebte es mitzuerleben, wie der Kapitän den Kopf niedergeschlagen hängen ließ. Er liebte es ebenso, die Angst in den Augen der Matrosen zu sehen. Im Büro hatte er ein Bild von dem Kapitän und, wie er annahm, seiner Ehefrau gefunden. Hakeem hatte die Macht, diese Frau wann immer er wollte zur Witwe zu machen. Auf der ganzen Welt gab es nichts Berauschenderes für ihn.
Aziz und Malik betraten die Kommandobrücke. Aus den Offizierskabinen hatten sie sich neue Kleider besorgt. Aziz, erst fünfundzwanzig, aber längst ein Veteran mit einem Dutzend Schiffsentführungen auf dem Konto, war so schlank, dass er zusätzliche Löcher in den Gürtel hatte stanzen müssen, um zu verhindern, dass seine neue Jeans herunterrutschte. Malik war in den Vierzigern und hatte Seite an Seite mit Mohammad Didi gegen die Vereinten Nationen und die Amerikaner gekämpft. Ein Schrapnell, das er während einer Straßenschlacht gegen eine rivalisierende Bande abbekam, hatte die rechte Seite seines Gesichts verwüstet – und dieser Treffer hatte auch seinen Geist verwirrt. Er sprach kaum – und wenn er es doch tat, dann ergab nur wenig von dem, was er von sich gab, einen Sinn. Aber er befolgte jeden Befehl buchstabengetreu, und das war alles, was Hakeem von ihm verlangte.
»Geht zum Kapitän. Ich will mich mit ihm über die Firma unterhalten, der dieses Schiff gehört. Ich möchte wissen, wie viel sie seiner Meinung nach zu zahlen bereit ist.« Er studierte Aziz’ Augen. »Und lass die Finger vom Bang.« Er benutzte den afrikanischen Spitznamen für Marihuana.
Die beiden Piraten stiegen die Treppe zum Hauptdeck hinunter. Da die Sonne unterging, war es im Innern des Schiffes mittlerweile ziemlich düster geworden. Nur wenige Lampen funktionierten noch, daher bedeckten zahlreiche Schatten die Decken und die Wände wie Moos. Mit einem Kopfnicken gab Aziz dem Wächter das Zeichen, den Draht zu entfernen. Er und Malik hielten ihre Waffen schussbereit, als die Tür knarrend nach innen schwang. Alle drei Männer rissen entgeistert die Münder auf. Die Kantine war leer.
3
Malik und Aziz hatten soeben die leere Kantine betreten, als der Wächter am Ende des Ganges etwas wahrzunehmen glaubte. Er starrte in die Dunkelheit und hob seine Waffe. Hätte er es durch das Verschwinden der Besatzung nicht so sehr mit der Angst zu tun bekommen, er hätte gewiss in aller Ruhe den Korridor untersucht. Aber jeder Nerv in seinem Körper vibrierte, als wäre er an eine Stromleitung angeschlossen. Sein Finger krümmte sich um den Abzugshebel, und er gab einen wilden Feuerstoß von zehn Schuss ab. Die Flamme, die aus der Mündung des AK-47 zuckte, enthüllte, dass der Korridor leer und verlassen war, während die Kugeln nichts anderes taten, als noch mehr Farbe von den schmuddeligen Wänden zu kratzen.
»Was ist los?«, fragte Aziz.
»Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen«, stotterte der Wächter.
Aziz traf eine schnelle Entscheidung. »Malik, geh mit ihm mit, und durchsucht dieses Deck. Ich werde Hakeem melden, was geschehen ist.«
Das Piratenoberhaupt hatte die Schüsse gehört und traf Aziz, als er gerade auf halbem Weg von der Kommandobrücke herunterkam. Er hielt die Pistole, wie er es schon oft in Musikvideos gesehen hatte, auf Armeslänge vorgestreckt und auf die Seite gedreht. In seinen Augen loderte helle Wut.
»Wer hat geschossen und weshalb?« Er verlangsamte seinen
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