Kaperfahrt
der Frau wurde von einem Tuch verhüllt, daher war ihr Gesicht nicht mehr als ein bleiches Oval im Licht der Taschenlampe.
Sie hielt ein Baby auf ihrer Schulter und wiegte es ein wenig. Er konnte es über das Rauschen des Windes hinweg weinen hören. Ein zweites Kind stand auf dem Rücksitz. Auch wenn er die Worte nicht verstand, konnte er die Anspannung in den Stimmen doch deutlich hören, als der Vater mit dem Polizisten diskutierte.
»Ist dies ein legaler Stopp oder ein besonders dreister Fall von mordida?« , fragte Linc und verwendete das spanische Wort für Biss, das zugleich der mexikanische Euphemismus für Schmiergeld war.
Juan wollte gerade auf die Frage antworten, als der Polizist den Kopf aus dem offenen Wagenfenster zog, einen Schritt zurücktrat und eine Pistole aus seinem Holster riss. Der erschreckte Schrei der Frau hallte durch die Nacht und überdeckte sogar das Weinen des Kindes auf ihrem Schoß. Der Ehemann der Frau hob auf dem Fahrersitz die Hände zu einer flehenden Gebärde.
Wagentüren sprangen auf, als die anderen beiden Polizisten aus ihren Fahrzeugen auftauchten. Beide griffen nach den Pistolen an ihren Hüften. Einer ging auf die Beifahrerseite der Limousine zu, während der andere mit der Pistole aufs Führerhaus zielend auf Cabrillo und sein Team zukam.
Juans wachsames Abwarten verwandelte sich in rasende Wut, denn in diesem Moment wusste er, dass sie zu spät kommen würden.
Mark Murphy klappte das Handschuhfach auf, ein flacher Kasten glitt heraus und öffnete sich automatisch. Zum Vorschein kamen ein Flachbildschirm und eine Tastatur mit einem kleinen Joystick. Während er sich beeilte, das nach vorn gerichtete Maschinengewehr zu aktivieren, schoss der Polizist, der sich in den Wagen gelehnt hatte.
Der Kopf des unglückseligen Fahrers explodierte in einer roten Wolke, die die Innenseite der Windschutzscheibe mit Blut und Gehirnmasse bedeckte. Sie versperrte Cabrillo den Blick auf den Schützen, der noch zweimal feuerte. Das Jammern der Frau und des Babys brach abrupt ab. Ein vierter Schuss fiel – und Juan war sicher, dass auch der Junge auf dem Rücksitz den Tod gefunden hatte – womit, wie er überzeugt war, ein in dieser Region geradezu alltäglicher Erpressungsversuch ein blutiges Ende gefunden hatte.
Nun übernahm sein Instinkt das Kommando. Cabrillo legte den Gang ein und gab Gas. Beschleunigung war nicht unbedingt die starke Seite des Pig, aber das Fahrzeug startete wie ein angreifendes Raubtier. Der Polizist, der auf sie zurannte, stoppte und eröffnete das Feuer. Seine Kugeln erzeugten harmlose Vertiefungen im Sicherheitsglas der Windschutzscheibe oder prallten von der Panzerung des Lastwagens harmlos ab.
»Ich hab ihn!«, rief Mark.
Juan sah kurz zu ihm hinüber. Der Videoschirm zeigte das Bild einer Kamera, die unter dem versteckten Maschinengewehr installiert war und Mark das Zielen erleichterte. Das Gewehr hatte sich ausgerichtet, der Lauf ragte unter der Stoßstange hervor.
»Feuer frei!«, schnappte Juan.
Mark drückte auf eine Taste, und eine heftige Vibration schüttelte den Lastwagen durch, als eine Feuerblume unter dem Führerhaus aufblühte. Projektile gruben sich in einer geraden Linie in den Asphalt, die direkt auf den nächsten Schützen zielte. Der korrupte Polizist wich nach links aus, änderte seine Laufrichtung jedoch um einiges zu früh. So gab er Murph ausreichend Zeit, zu reagieren und das Ziel zu korrigieren. Die Kugeln trafen den Polizisten im Unterschenkel und wanderten dann an seinem Körper hoch, wobei sie ihn mit einer Frequenz von vierhundert Treffern pro Minute durchsiebten. Die kinetische Energie der Treffer schleuderte ihn auf die Fahrbahn und wälzte ihn so herum, dass er auf dem Rücken liegen blieb. Sein Oberkörper sah aus, als sei er von einem Löwen zerfleischt worden.
Der Polizist, der die Familie ausgelöscht hatte, rannte zu seinem Wagen, während sich der dritte ebenfalls zu seinem Fahrzeug zurückzog. Mark stoppte den Kugelhagel, sobald der erste Polizist ausgeschaltet war, und richtete den Lauf nun auf den dritten Killer. Kugeln prasselten gegen den Wagen, zerschmetterten seine Windschutzscheibe und die Seitenfenster und perforierten die Karosserie. Beide Reifen wurden getroffen, der Wagen sackte deutlich tiefer. Der Schütze fand vorübergehend hinter der teilweise geschlossenen Tür Schutz, musste jedoch erkannt haben, dass seine Position auf die Dauer unhaltbar war. Er kroch über den Vordersitz und stieß auf der
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