Kapitaen Bykow
»Heute hab ich Gäste.«
Dauge schob sein Glas beiseite, das er nicht angerührt hatte, und erhob sich gleichfalls. Sie hakte ihn unter, und sie traten ins Vestibül hinaus. Dauge gab sich alle Mühe, nicht zu hinken.
»Wo gehst du jetzt hin?«, fragte er.
Sie blieb vor dem Spiegel stehen und richtete ihr Haar, an dem es nicht das Geringste zu richten gab. »Wohin?«, fragte sie. »Ich weiß nicht, irgendwohin. Schließlich bin ich noch keine fünfzig, und meine Welt gehört noch immer mir.«
Sie stiegen die weiße Treppe hinunter, traten auf den sonnenüberfluteten Vorplatz hinaus.
»Ich hätte dich ein Stück bringen können«, sagte Dauge.
»Danke, ich habe einen eigenen Wagen.«
Er setzte ohne Hast seinen Helm auf, prüfte, ob es auch nicht an den Ohren zog, und knöpfte den Mantel zu.
»Leb wohl, mein Alter«, sagte sie.
»Leb wohl«, sagte er und lächelte weich. »Verzeih, wenn ich dich mit meinen Worten verletzt habe ... Du jedenfalls hast mir heute sehr geholfen.«
Sie sah ihn verständnislos an, lächelte achselzuckend und ging zu ihrem Wagen. Dauge schaute ihr nach, wie sie sich beim Laufen in den Hüften wiegte – erstaunlich schlank war sie, stolz und doch mitleiderregend. Sie hatte einen wunderbaren Gang, und sie war noch immer schön, ausgesprochen schön. Sie zog die Blicke auf sich. Und Dauge dachte in traurigem Zorn: Genau das ist ihr Leben, nichts anderes – den Körper in hübsche, teure Gewänder hüllen und die Blicke auf sich ziehen. Wie viele solcher Leute gibt es doch, und wie zählebig sie sind.
Im Wagen wartete Grischa Bykow auf ihn. Er saß da, die Knie gegen das Lenkrad gestemmt, und las in einem dicken Buch. Das Autoradio war auf volle Lautstärke gestellt; Grischa liebte hohe Phonzahlen.
Dauge stieg ein, schaltete den Apparat ab und saß eine Weile schweigend da. Grischa legte das Buch weg und startete. Dauge aber sagte, vor sich hinstarrend: »Das Leben, Namensvetter, hält drei Freuden für den Menschen bereit: einen Freund, die Liebe und die Arbeit. Jede dieser Freuden ist für sich genommen eine Menge wert. Doch wie selten finden sich alle drei vereint!«
»Auf die Liebe kann man verzichten«, sagte Grischa ernsthaft.
Dauge warf ihm einen schnellen Blick zu. »Gewiss, das kann man«, bestätigte er. »Doch das bedeutet, man ist um eine Freude ärmer. Es sind aber nur drei.«
Grischa schwieg. Er fand es unfair, sich auf einen Disput einzulassen, der für den Gegner von vornherein aussichtslos war.
»Ins Institut«, sagte Dauge. »Und gib dir Mühe, bis eins da zu sein. Werden wir das schaffen?«
»Ja, ich drück auf die Tube.«
Der Wagen fuhr auf die Chaussee hinaus.
»Zieht es Ihnen auch nicht, Onkel Grischa?«, fragte Bykow junior.
Dauge schniefte und sagte: »Hast recht, mein Lieber, wir wollen mal lieber die Scheiben hochkurbeln.«
1. Mirsa-Tscharle. Der russische Bursche
Die Diensthabende für Passagiertransporte hatte großes Mitleid mit Jura Borodin, doch sie konnte ihm kein bisschen helfen. Eine reguläre Fahrgastverbindung zum System des Saturn existierte nicht, es gab nicht einmal einen regelmäßigen Güterdienst. Die automatischen Lastentransporter beflogen diese Route zwei- bis dreimal jährlich, die Schiffe mit Besatzung sogar noch seltener. Die Diensthabende hatte schon zweimal beim elektronischen Dispatcher angefragt, blätterte nun in einem dicken Kursbuch, telefonierte mehrmals mit irgendwelchen Leuten, doch alles war vergeblich. Jura schaute offenbar sehr unglücklich drein, denn zum Schluss sagte sie mitfühlend: »Nehmen Sie sich’s nicht so zu Herzen, mein Lieber. Dieser Planet ist einfach zu weit entfernt. Wieso müssen Sie ausgerechnet dorthin?«
»Ich hab den Anschluss an meine Kumpels verloren«, sagte Jura zerknirscht. »Nun ja, dann geh ich jetzt, vielen Dank auch. Vielleicht kann ich irgendwo anders ...« Er drehte sich um und steuerte dem Ausgang zu, mit gesenktem Kopf, den Blick auf den abgeschabten Plastfußboden gerichtet.
»Moment noch, mein Lieber«, rief ihm die Diensthabende hinterher. Jura drehte sich auf dem Absatz um und kam zurück. »Wissen Sie« – die Frau zögerte –, »manchmal gibt es da Sonderflüge.«
»Ach wirklich?«, fragte Jura hoffnungsvoll.
»Ja. Nur werden wir hier nicht davon unterrichtet.«
»Glauben Sie denn, dass man mich auf solch einen Sonderflug mitnehmen würde?«
»Keine Ahnung, mein Lieber. Ich weiß nicht einmal, wo man das in Erfahrung bringen könnte. Vielleicht beim Leiter des
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