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Kapitaen Bykow

Kapitaen Bykow

Titel: Kapitaen Bykow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Strugatzki
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monatelang voller Verzweiflung gegen eine dicke Wand anzurennen, Berge von Papier vollzuschreiben, Dutzende von Kilometern durchs Arbeitszimmer zu laufen oder auch durch die Wüste, immer mit dem Gefühl, die Lösung nie zu finden, ein blinder, hirnloser Wurm zu sein. Man vergisst, dass es einem schon oft so ergangen ist, bis dann dieser wunderbare Moment eintritt, wo man endlich die Tür in der Mauer aufstößt, wieder eine dicke Wand hinter sich gebracht hat, abermals Gott ist und einem das Universum erneut zu Füßen liegt. Im Übrigen muss man so etwas auch nicht unbedingt begreifen – man muss es fühlen.
    Er sagte: »Auch sie wollen ihr Leben so leben, wie es ihnen gefällt. Nur wollt ihr eben Unterschiedliches.«
    »Und was ist, wenn ich im Recht bin?«, entgegnete sie heftig.
    »Nein«, sagte Dauge, »recht haben die andern. Denn sie stellen nicht die Frage ›wozu‹.«
    »Vielleicht tun sie’s nur deshalb nicht, weil sie unfähig sind, weitreichender zu denken.«
    Dauge lächelte spöttisch. Was verstehst du schon von weitreichendem Denken, ging es ihm durch den Kopf.
    »Du trinkst an einem heißen Tag kaltes Wasser«, sagte er geduldig, »und fragst nicht nach dem Warum. Du trinkst es einfach und fühlst dich gut dabei ...«
    Sie fiel ihm ins Wort: »Jawohl, ich fühl mich gut dabei. Also lasst mich mein kaltes Wasser trinken, so wie die andern ihrs trinken sollen!«
    »Das sollen sie«, stimmte Dauge gelassen zu. Er spürte mit Verwunderung und Freude, dass sich diese scheußliche, niederdrückende Trauer in ihm verflüchtigte. »Aber wir sprachen über etwas anderes. Du hast gefragt, wer im Recht ist. Also ich würde meinen – der Mensch ist kein Tier. Die Natur hat ihm Verstand gegeben. Dieser Verstand muss ständig weiterentwickelt werden, du aber erstickst ihn in dir. Erstickst ihn künstlich. Dein ganzes Leben lang hast du nichts anderes getan. Und es gibt noch sehr viele Menschen auf dem Planeten, die das tun. Man nennt sie Spießbürger.«
    »Danke.«
    »Ich wollte dich nicht kränken«, sagte Dauge, »aber ich hatte das Gefühl, dass du uns kränken möchtest. Du sprichst vom weitreichenden Denken ... Was kann es bei euch schon für ein weitreichendes Denken geben.«
    Sie trank ihr Glas aus. »Du findest heute mal wieder sehr schöne Worte«, erwiderte sie mit unfrohem Lächeln, »erklärst alles sehr nett. Dann sei doch so gut und erklär mir bitte noch etwas. Du hast ein Lebtag gearbeitet, hast ein Lebtag deinen Verstand weiterentwickelt, hast auf die einfachen Freuden des Lebens verzichtet.«
    »Ich habe keineswegs auf sie verzichtet«, sagte Dauge, »im Gegenteil – ich war ein ziemlicher Hallodri.«
    »Wir wollen nicht darüber streiten«, sagte sie, »von meiner Warte aus hast du auf sie verzichtet. Während ich ein Leben lang den Verstand in mir erstickt habe. Ein Leben lang nichts anderes gemacht habe, als meinen niedrigen Instinkten zu frönen. Doch wer von uns beiden ist jetzt, in diesem Augenblick, glücklicher?«
    »Natürlich ich«, sagte Dauge.
    Sie sah ihn unverhohlen an und brach in Gelächter aus. »Nein«, sagte sie, »ich! Im schlimmsten Fall sind wir beide gleichermaßen unglücklich. Ein unbegabter Kuckuck – ich glaube, so bezeichnet mich Wolodja – oder eine arbeitsame Ameise; das Ende sieht für beide gleich aus: Alter, Einsamkeit, Leere. Ich habe nichts erworben, und du hast alles verloren. Worin also besteht der Unterschied?«
    »Frag doch Grischa Bykow«, sagte Dauge ruhig.
    »Ach, geh mir mit denen vom Leibe!« Sie winkte verächtlich ab. »Was die sagen, weiß ich. Nein, mich interessiert, was du zu sagen hast! Und zwar nicht jetzt, wo die Sonne scheint und Leute um uns herum sind, sondern nachts, wenn du allein bist mit deiner Schlaflosigkeit, deinen stinklangweiligen Lehrbüchern, den nutzlosen Steinen, gesammelt auf nutzlosen Planeten, dem stummen Telefon ... Ja, nachts, wenn nichts, aber auch gar nichts mehr vor dir liegt.«
    »Stimmt, so etwas kommt vor«, sagte Dauge. »Das kommt bei allen vor.«
    Er stellte sich das alles plötzlich sehr deutlich vor – das stumme Telefon und nichts mehr vor sich –, nur dass die Lehrbücher und Steine durch Flakons mit Kosmetik ersetzt waren, durch den toten Glanz goldenen Schmucks und unbarmherzige Spiegel. Ich bin ein Schwein, dachte er reumütig. Ein selbstgefälliges und gleichgültiges Schwein. Sie bittet doch um Hilfe!
    »Würdest du mir erlauben, dich heute zu besuchen?«, fragte er.
    »Nein.« Sie erhob sich.

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