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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Leute derart schnell und komplett irrational wurden wie angesichts der hiesigen Parkvorschriften. Und das in einem Land, in dem ein geradezu absurdes Maß an Reichtum und Bequemlichkeit herrschte. Wenn man den Leuten einen Strafzettel gab, dann konnte man sich sicher sein, dass sie wütend wurden. Und die Wut breitete sich aus und wurde ansteckend, wie das mit dieser Frau geschehen war, die ganz unverkennbar vor lauter Missgunst und Ärger den Verstand verloren hatte. Es gab Momente, da hätte sie gerne zu den Leuten gesagt: Kniet nieder! Seid dankbar! Eine Milliarde Menschen versucht, mit einem Dollar am Tag zu überleben, eine Milliarde Menschen hat kein sauberes Trinkwasser. Ihr lebt in einem Land, in dem ihr die Garantie habt, Essen, Kleider, ein Dach über dem Kopf und ärztliche Behandlung zu bekommen, von eurer Geburt an bis zum Moment eures Todes, ohne dass ihr dafür bezahlen müsst, ihr lebt in einem Land, wo der Staat nicht hingeht und euch verprügelt oder einsperrt oder einfach in den Militärdienst einberuft, wo die Lebenserwartung eine der höchsten der Welt ist, wo die Regierung euch nicht über Aids anlügt, wo es gute Musik gibt und nur das Klima schlecht ist – und ihr wagt es, euch über das Parken zu beklagen? Weh euch! Kniet nieder in Dankbarkeit, dass ihr überhaupt in der Lage seid, dieses kleine Ärgernis zu bemerken! Preiset Gott dafür, dass ihr über einen Strafzettel in Wut geratet, statt vor Gram eure Kleider zuzerreißen, weil euch schon wieder ein Kind an Malaria oder Ruhr gestorben ist! Singt Hosianna, während ihr das kleine grüne Formular ausfüllt, das unter euren Scheibenwischern steckt! Denn ihr, ihr, die ihr verdienterweise für eine fünfminütige Parkzeitüberschreitung bestraft werdet, ihr, die ihr die Anwohnerparkplatzregelung falsch verstanden habt, ihr, die ihr die Ladezonenschilder überseht, ihr seid von allen Menschen, die da leben, die am reichsten Gesegneten!
    Stattdessen sagte Quentina:
    »Es wird dort etwas ausgeladen.« Sie hob die Hand in einer pantomimischen Geste und wies auf den Mann vom Land und seine Tochter, die aus dem Elektrogeschäft kamen und sich mit einem sichtlich schweren, in Pappe gewickelten Gegenstand abschleppten, bei dem es sich der Größe und dem Umriss nach wahrscheinlich um einen Kühlschrank handelte. Es gelang ihnen nur mit Mühe, den Gegenstand auf die Ladefläche des Range Rovers zu hieven und hineinzuschieben.
    »Warum verpisst du dich nicht einfach zurück in dein Niggerland, du dumme schwarze Fotze? Da kannste dann auf ’nem Baum hocken, deine scheiß Bananen fressen und an Aids krepieren! Was hast du überhaupt hier zu suchen, verdammte Scheiße?«
    »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag«, sagte Quentina. Dann ging sie weiter, empört und angeekelt, aber keineswegs überrascht. Und weil sie aus solchen Erfahrungen klüger geworden war, drehte sie sich um und machte ein paar Fotos von dem Auto und der Ladezone. (Zufällig kamen der Mann und seine Tochter auch mit ins Bild. Sie waren gerade damit beschäftigt, den nächsten riesigen Karton aus dem Auto zu ziehen, was ihnen aber größte Schwierigkeiten bereitete, weil er durch den Kühlschrank eingekeilt worden war. Sie waren wirklich nicht besonders geschickt, das konnte man nicht behaupten). Anschließend nahm sie ihr Notizbuch und schrieb auf, was die Frau gesagt hatte, wobei sie sich auch den Ort und den Zeitpunkt notierte. Dann ging sie für den Rest des Tages wieder ihrer Arbeit nach. Ein Tag, an demsie etwas hatte, auf das sie sich freuen konnte. Solche Dinge passierten eben. Das ließ sich nicht leugnen. Aber es gab immer andere Dinge in der Zukunft, wichtigere Dinge, auf die man sich freuen konnte. Mashinko … my humps …

38
    Zbigniew wachte auf. Einen kurzen Moment lang fühlte er sich wunderbar. Es war sechs Uhr morgens, also noch ziemlich früh. Durch einen Spalt in den Vorhängen war ein wenig Licht ins Zimmer gedrungen und ihm ins Gesicht gefallen. Das machte Zbigniew nichts aus, er hatte kein Problem damit, morgens aufzustehen, und sei es noch so früh. Kaum dass er aufgewacht war, erfasste ihn eine große Unternehmungslust. Es gab einen Tag zu erobern, Dinge zu tun, Aufgaben zu erfüllen, und es galt, vorwärtszukommen. Er war gerade mit drei oder vier Projekten gleichzeitig beschäftigt. Seine Wertpapierbestände machten sich bestens. Es gab ein englisches Sprichwort, das Zbigniew liebte, eine Redewendung, die so gut war, dass sie fast aus Polen hätte

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