Kapital: Roman (German Edition)
glaubte sie nicht daran, dass sie noch vor dem Tod des Diktators nach Zimbabwe zurückkehren musste. Sie wusste einfach instinktiv, dass das nicht passieren würde. Und in der Zwischenzeit: »My humps, my humps … my lovely lady lumps …«
»Kwama Lyons« kam fünf Minuten zu spät in das Büro der Verkehrsüberwachungsfirma. Sie stempelte ihre Karte und ging dann an die Arbeit. Ihre Schicht würde heute bis halb neun Uhr abends dauern. Das war eine sehr lukrative Schicht, denn erst vor kurzem war die Begrenzung der Parkerlaubnis auf den Anwohnerparkplätzen von 17.30 auf 20.30 Uhr verschoben worden, und zahllose Anwohner hatten diese Änderung noch nicht bemerkt. Quentina fand das nicht besonders fair, aber wenn es etwas im Leben gab, das sie ohne jede Einschränkung begriffen hatte und jeden Tag noch ein bisschen besser begriff, dann war es die Tatsache, dass sie persönlich die Spielregeln nicht ändern konnte. Wäre sie für die Regeln verantwortlich, dann würde sie als Erstes sicherstellen, dass es im Leben fair zuging. Dafür würde sie schon sorgen. Auf der Liste der Dinge, die sie erledigen würde, falls sie die Geschicke der Menschen zu leiten hätte, stünde an oberster Stelle: Bewirke, dass das Leben fair ist. Aber diese Macht hatte sie nicht. Und das Leben war alles andere als fair.
Das Wetter – für eine Politesse auf Streife von größter Bedeutung – wollte einfach nicht zur Ruhe kommen. Im einen Moment war der Himmel klar, die Sonne schien, und Quentina schwitzte in ihrer lächerlichen Uniform. Der Sommer stand schon in den Startlöchern! Oder jedenfalls das, was man hier in England Sommer nannte; mit dem echten Sommer konnte man das natürlich nicht vergleichen. Im nächsten Moment verzog sich die Sonne wieder, es kam Wind auf, und alles war wieder dunkel, trostlosund winterlich. Aber auch das war nur ein billiger englischer Abklatsch des echten Winters: Es gab keinen Schnee oder Eis oder Wölfe, kein Drama, sondern nur graue, dunkle Kälte.
Ungefähr um elf entdeckte Quentina um die Ecke von der Hauptstraße einen zehn Jahre alten Land Rover mit Dieselmotor, der vor einem Elektrogeschäft in der Ladezone stand. Das Fahrzeug war hinten offen, und Quentina konnte ein paar übereinandergestapelte Kartons sehen. An dieser Stelle hatte sie schon oft Strafzettel an parkende Autos verteilt. Im Gegensatz zum Parken war das Ein- und Ausladen hier aber erlaubt. Am Nummernschild konnte Quentina erkennen, dass das Auto bei einem Händler in Cirencester gekauft worden war. Das erklärte einiges, denn kein Londoner würde seine Kofferraumtür so lange unbeobachtet offen lassen. Sie stellte sich neben das Auto und wartete eine Minute. Dann kam ein Mann in einer grünen Wachsjacke angerannt. Eine jüngere Frau, seine Tochter vielleicht, lief hinter ihm her.
»Tut mir leid, tut mir leid«, sagte der Mann. »Musste ein paar Sachen abladen. Wir räumen das Zimmer meiner Tochter leer. Nur noch zwei Fuhren, dann sind wir fertig. Ist das okay?«
Es wurde also etwas ausgeladen.
»Okay«, sagte Quentina. »Sie sehen nicht grad aus wie ein Lügner.«
Der Mann lächelte freundlich über ihre Bemerkung. Dann griff er sich zusammen mit seiner Tochter ein paar Kartons. Quentina ging weiter, oder versuchte es zumindest, denn zehn Meter die Straße hinunter versperrte ihr eine Frau im Trainingsanzug den Weg. Sie hatte ein rotes Gesicht und krause, widerspenstige Haare.
»Na toll«, sagte sie. »Das hab ich gern! Erlauben Sie diesen Snobs ruhig, überall zu parken, wo sie wollen. Normale Leute kriegen sofort ein Knöllchen, ohne dass Sie mit der Wimper zucken, egal ob sie auf einem regulären Parkplatz stehen oder nicht. Sie verpassen ihnen einfach mal einen Strafzettel, damit Sie auch Ihre Quote erfüllen. Sollen die sich doch beschweren, wenn Sie sich mal irren,das ist Ihnen doch egal, Sie wollen eben Ihre Quote erfüllen, nur darum geht’s Ihnen doch. Und den Job hier, den haben Sie doch sowieso nur wegen der Antidiskriminierungsgesetze gekriegt. Und normale, anständige Leute mit anständigen Jobs, die zahlen dann den Preis dafür, die müssen für die Strafzettel blechen, aber solche reichen Schnösel da, in ihren fetten Autos, denen lassen Sie alles durchgehen.«
Quentina glaubte, einiges an Erfahrung über die Welt und die Menschen gesammelt zu haben, und sie war schon vielen Menschen begegnet, die sich nicht gerade von ihrer besten Seite zeigten, aber ihr war noch nie ein Thema untergekommen, bei dem die
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