Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
Vom Netzwerk:
stammen können: Du lebst ein gutes Leben, solange du niemals nachlässt. Deswegen war Zbigniew, als er aufwachte und bevor er wieder richtig zu Bewusstsein gekommen war, einige Sekunden lang vollkommen glücklich.
    Dann merkte er, dass er nicht allein im Bett lag. Sein Körper spürte, dass da ein anderer Körper war, bevor sein Kopf es begriff; er wusste es instinktiv, so wie Tiere etwas wissen. Als Nächstes wurde ihm klar, dass er sich nicht einmal in seinem eigenen Bett befand. Und schließlich begriff er, wer da neben ihm lag, und wo er war, und was gerade überhaupt vor sich ging. Seine anfängliche Verwirrtheit, dieses Gefühl, das eigentlich ganz klein angefangen hatte, als Witz, als kleine Laune des Schicksals, hatte sich plötzlich zu einer riesigen dunklen Wolke ausgedehnt, zu einem Fluch, der ihm den ganzen Tag vergiften würde. Es war genau das, was mit seinem Leben nicht stimmte; eine schreckliche schwarze Sonne, die über ihm schwebte. Doch sein Körper war glücklich. Er teilte sich das Bett mit Davina, der Frau, die er kurz vor Weihnachten imUprising kennengelernt hatte. Während der Weihnachtsferien war er zweimal mit ihr ausgegangen, im Januar hatten sie das erste Mal miteinander geschlafen, und seitdem trafen sie sich regelmäßig. Das Ganze war eine Katastrophe. Eine komplizierte Katastrophe, eine Katastrophe, wie sie Zbigniew noch nie erlebt hatte. Denn in einer Hinsicht, aber nur in einer einzigen, war er wahnsinnig glücklich: Sein Körper genoss die Geschichte in vollen Zügen. Von Anfang an, von dem Moment an, als Davina gleichzeitig mit ihm schreiend zum Orgasmus gekommen war, hatten sie ganz unglaublichen Sex gehabt, den besten Sex in Zbigniews ganzem Leben. Das war keine Frage von Tricks oder besonderen Praktiken gewesen, es war nichts Bestimmtes, das Davina machte und das vor ihr noch nie eine andere Frau mit ihm gemacht hatte; nein, es funktionierte einfach alles wunderbar, wenn sie zusammen waren. Er konnte es nicht anders als mit einer technischen Metapher formulieren. Der Mechanismus lief wie am Schnürchen. Perfekt. Und immer wieder. Jedes Mal. Rein körperlich gesehen, war es der beste Sex seines Lebens: einfallsreicher, dreckiger, befriedigender und lauter als alles Bisherige. Sein Körper schwebte im siebten Himmel.
    Das Problem war, dass sein Kopf, sein Geist, seine Seele und seine Gefühle sich heftig gegen die ganze Sache auflehnten. Um ehrlich zu sein – er konnte Davina nicht ausstehen. Er hatte das schon ziemlich früh gemerkt, sehr früh, genauer gesagt während ihres ersten Gesprächs; oder eigentlich, wenn man mal darüber nachdachte, schon bevor er überhaupt ein Wort mit ihr gesprochen hatte, denn sie rauchte, und er hasste Raucher, egal, ob es nun sexy aussah oder nicht. Er hatte das nach ein paar Wochen in einem Gespräch mit ihr erwähnt – und sie hatte mit dem Rauchen aufgehört! Sofort! So schlimm standen die Dinge!
    Es war gar nicht mal so, dass Davina besonders anhänglich war. Aber sie war vollkommen und unwiderruflich von ihm abhängig. Er war ihre Welt. Sie hatte es selbst so formuliert: »Du bist meine ganze Welt.« In Zbigniews Augen war es vollkommen sinnlos, soetwas zu sagen, weil es einfach nicht stimmen konnte. Menschen waren eben Menschen, einzelne Menschen, Individuen, und die Welt war die Welt. Das war doch der Sinn der Sache – dass die Welt gerade alles andere umfasste. Ein Mensch konnte nicht die Welt eines anderen Menschen sein. Aus genau diesem Grund gab es auf der einen Seite die Menschen und auf der anderen die Welt.
    Ihre Abhängigkeit, die erst zum Vorschein kam, nachdem sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten, war ein riesiges Problem. Jedes Mal, wenn sie sich trafen – was, wenn es nach ihr ginge, jeden Tag gewesen wäre, genauer gesagt, wenn es nach ihr ginge, wären sie schon längst zusammengezogen oder eigentlich schon längst verheiratet – fragte sie, was er so alles gemacht habe, und wartete mit großen Augen und halbgeöffnetem Mund auf seine Antwort, als rechnete sie fest damit, jeden Moment etwas Aufregendes, Fantastisches, Unglaubliches zu erfahren. Ihr Verhalten hatte von Anfang an etwas Eifersüchtiges und Paranoides gehabt. Sie war auf seine Arbeit eifersüchtig, auf seine Freunde, auf seine Aktien, auf Piotr, auf einfach alles. Sie bemühte sich, das nicht zu offen zu zeigen, oder zumindest tat sie so, als bemühte sie sich darum.
    All das war zwar sehr bedenklich, aber Zbigniew hätte es noch so gerade eben

Weitere Kostenlose Bücher