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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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ertragen können, wenn es da bei ihr nicht noch zwei weitere Wesenszüge gegeben hätte, die sich gegenseitig verstärkten. Da war zum einen ihre Angewohnheit, aus allem und jedem ein Schauspiel zu machen. Was auch immer sie tat, geschah mit dem Bewusstsein, dass man ihr dabei zusah. Sie übertrieb alles, was sie sagte oder fühlte, und tat dabei oft genug zugleich so, als wollte sie die Dinge untertreiben. Dieses Verhalten gewann geradezu epische Ausmaße, wenn sie vorgab, nicht verletzt oder traurig zu sein. Wenn Zbigniew wegen wichtiger Termine auf der Arbeit einen »Drink« absagen musste – und Drink bedeutete bei ihnen eine Flasche Wein, gefolgt von Sex, gefolgt von einem bitteren Streit darüber, ob er bei ihr übernachten würde oder nicht –, dann führte sie sich das nächste Mal, wenn sie sich trafen, wie eineKatze auf, deren Herrchen einfach ohne sie in Urlaub gefahren war: Sie wandte sich ab, zuckte mit den Schultern und sagte »Nichts«, wenn er sie fragte, was das Problem sei, und »Mir egal« zu jedem Vorschlag, den er machte. (»Soll ich nach der Rechnung fragen?« »Mir egal.«) Und jedes Mal endete es mit wildem, stürmischem und unermüdlichem Versöhnungssex.
    Der zweite Wesenszug, derjenige, der schließlich dafür sorgte, dass es Zbigniew unmöglich schien, auch nur einen Moment mit seiner Freundin zu verbringen, ohne dass er sich gewünscht hätte, woanders zu sein, war ihre Niedergeschlagenheit, das, was sie ihren »Schwarzen Hund« nannte. (Selbst die theatralische Art, wie sie das sagte, machte ihn wahnsinnig. Sie schaute auf den Boden oder zur Seite, als sei das Thema zu schwierig, zu schmerzlich, als seien sogar die Worte, die damit zu tun hatten, eine Bürde, deren schreckliche Belastung ein Mensch wie Zbigniew, der auf so ungehobelte Weise mit sich im Reinen war, unmöglich nachvollziehen konnte …) Jedes dritte oder vierte Mal, wenn sie sich trafen, war sie vollkommen in sich selbst versunken, kaum in der Lage, etwas zu sagen – oder sie verhielt sich zumindest so. Aber weil sie so theatralisch veranlagt war, konnte man nie genau wissen, was an ihrem Verhalten echt war und was nicht. Es war durchaus möglich, dass sie gar keine Probleme hatte, sondern einfach nur ein wenig mehr Beachtung wollte. Er hatte oft den Verdacht, dass eher Letzteres zutraf. Oder sie war in Wirklichkeit nur schlecht gelaunt und wollte aufgemuntert werden. Doch statt ihn darum zu bitten, dass er sie auf andere Gedanken brachte, übertrieb sie ihre schlechte Laune immens. Vielleicht glaubte sie, mit dieser Methode mehr Aufmerksamkeit von ihm zu bekommen. Dabei bewirkte sie jedoch das genaue Gegenteil: Er wandte sich ab, hörte nicht mehr zu und blendete sie aus. Deprimierte Menschen langweilten und nervten ihn. Zu Hause in Polen war er viel zu vielen von dieser Sorte begegnet und fiel schon lange nicht mehr auf sie herein. Möglicherweise war Davina in solchen Momenten aber auch tatsächlich deprimiert. Obwohl, wenn sie wirklich so deprimiertwar, wie es den Anschein hatte, dann hatte sie eine klinische Depression und brauchte einen Arzt und ein paar Pillen, aber nicht einen polnischen Freund, dem sie ihr Unglück vorhalten konnte, während er ihr gegenübersaß.
    Vergangene Nacht zum Beispiel. Sie waren ins Kino gegangen. Das letzte Mal hatte sie den Film ausgewählt, also war diesmal er dran. Iron Man . Der Film war okay gewesen – nicht toll, aber okay. Nachher, im Pub, sagte sie kein einziges Wort. Er versuchte eine Weile, ein Gespräch in Gang zu bringen, und gab dann auf. Nach ein paar Minuten, während derer sie einfach nur dagesessen und auf den Tisch gestarrt hatte, sagte Davina:
    »Du bist sehr still.«
    »Du bist stiller als ich.«
    Pause.
    »Bin ich das?«
    »Ja.«
    Pause.
    »Na ja … Ich finde einfach, dass es nicht viel zu sagen gibt.«
    Das wäre für Zbigniew die Gelegenheit gewesen zu sagen, du hast recht, es ist vorbei. Stattdessen tappte er in die Falle.
    »Warum?«
    Sie zuckte mit den Schultern – vielsagend und dramatisch, als hätte sie gerade jemand gezwungen, zwischen Tod durch Erhängen und Tod durch Erschießen zu wählen.
    »Gibt es denn was zu sagen?«
    »Etwa nicht?«
    Noch ein Schulterzucken.
    »Du magst solche Filme wie den hier, Filme mit Gewalt.«
    Das war also das Problem.
    »Da war gar nicht so viel Gewalt.«
    Sie erschauderte.
    »Nach deinen Maßstäben vielleicht nicht.«
    »Was soll das denn bedeuten?«
    »Du bist ein Mann, du findest Gewalt unterhaltsam.«
    »Nein, tu

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