Kapital: Roman (German Edition)
dann auf die Universität, um Maschinenbau zu studieren. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie eine Weile als Sekretärin in einer Zahnarztpraxis. Sie wollte Geld sparen, um nach London zu ziehen und dort ihren Traum zu verwirklichen, ein weniger enges, großzügigeres, wohlhabenderes Leben zu führen, ein Leben, das nicht von den frühen Verlusten überschattet wurde, die sie als Kind erlitten hatte. Sie wollte glücklich sein und geliebt werden, und sie wollte einen reichen Mann heiraten. Und sie glaubte, dass in London die Wahrscheinlichkeit größer war als irgendwo sonst, einen solchen Mann auch zu finden.
Matya war nicht wählerisch, was ihre Arbeit betraf. Als Erstes fand sie einen Job als Empfangsdame, bei dem ihr Gehalt gerade mal dem Mindestlohn entsprach. Um diesen Job überhaupt zu bekommen, hatte sie ein wenig über ihre Englischkenntnisse lügen müssen. Infolgedessen wurde der Job, für den sie eigentlich so überqualifiziert war, dass ihr alles entspannt von der Hand hätte gehen müssen, zu einem konstanten Stressfaktor. Sie machte sich die ganze Zeit Sorgen, weil ihr Englisch nicht so schnell besserwurde, wie sie gehofft hatte. Dann fand sie eine Arbeit als Dolmetscherin auf einer Baustelle, auf der man ungarische Bauarbeiter eingestellt hatte. Es war zwar Schwarzarbeit, aber dafür gut bezahlt: Sie bekam 500 £ in der Woche, bar auf die Hand. Das Problematische an dem Job aber war, dass sowohl der Vorarbeiter als auch sein Auftraggeber sich andauernd über die Arbeiter beschwerten und sie mit Beschimpfungen überschütteten. Und da Matya diese Beschwerden und Beschimpfungen alle übersetzen musste, bekam sie das meiste davon ab. »Sagen Sie dem dämlichen Wichser, dass ich seine Ausreden nicht mehr hören will«, galt dabei noch als nette Bemerkung. Matya war von ihren Eltern und Großeltern streng erzogen worden und legte viel Wert darauf, dass die Menschen einander mit Höflichkeit und Zurückhaltung begegneten. Zunächst hatte sie die Flucherei und die Übellaunigkeit noch lustig gefunden, aber dann fing das Ganze an, sie zu zermürben. Nach drei Monaten gab sie den Job auf.
In der Zwischenzeit hatte sie ein paar Freundschaften geschlossen. Es handelte sich dabei um Landsleute, und weil es schlecht für ihr Englisch war, wenn sie zu viel Ungarisch sprach, traf sie sich mit ihnen nur an einem Abend in der Woche. Aber es waren gute Freunde. Zwei von ihnen hatten Arbeit als Kindermädchen oder in der Kinderbetreuung gefunden und kannten eine Agentur in Süd-London. Matya vereinbarte ein Vorstellungsgespräch. Das war vor drei Jahren gewesen, und heute war sie immer noch Kindermädchen.
Matya fand es anfangs ziemlich mühsam, bei den Younts zu arbeiten. Zwar mochte sie die Kinder sehr, und auch das Haus und die Gegend, denn von Earlsfield, wo sie wohnte, konnte man relativ problemlos hierherkommen. Mit dem Bus dauerte es eine halbe Stunde, und wenn sie gerade mal Lust hatte, mit dem Fahrrad zu fahren, nur fünfzehn Minuten. Das Gehalt war auch gut, nicht zuletzt deshalb, weil die Younts in diesen letzten drei Jahren die ersten Arbeitgeber waren, die sie auf ganz legalem Wege bezahlten und sogar ihre Sozialversicherungsbeiträge beglichen.Das lag möglicherweise daran, dass sie von dem Ehemann eingestellt worden war, der vielleicht nicht wusste, dass die meisten Menschen in England, und seien sie auch noch so reich, ihre Kindermädchen für gewöhnlich nur schwarz bezahlten.
Was den ersten Monat so schwierig machte, war die Tatsache, dass irgendetwas zwischen den beiden Eheleuten nicht stimmte. Matya hatte es komisch gefunden, dass Mrs Yount am 27. Dezember nicht zu Hause gewesen war, und der genaue Grund dafür war ihr auch nie genannt worden. Sie konnte spüren, dass die spannungsgeladene Atmosphäre irgendwie darauf zurückzuführen war. Und darüber hinaus war kaum zu übersehen, dass es Mrs Yount nicht recht war, dass ihr Mann sie einfach so eingestellt hatte. Sie war anfangs nicht sehr umgänglich gewesen – hatte Matya die ganze Zeit beobachtet, sie ihre Ressentiments spüren lassen und auf einer vierwöchigen Probezeit bestanden, etwas, das ihr Mann mit keinem Wort erwähnt hatte. Und die Art, wie sie das gesagt hatte, war eine deutliche Warnung gewesen: Sie würde die geringste Gelegenheit zum Anlass nehmen, um Matya loszuwerden.
Aber in der Zwischenzeit waren mehr als drei Monate verstrichen, und diese ganzen Probleme lagen schon lange hinter ihnen. Arabella fand es zwar im Prinzip
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