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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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gehört und sich in seiner Fantasie ein Bild davon gemacht, wie es darin aussah: warm, braun, heiter und unbeschwert. Nicht überall in London kapselten sich die Menschen ab, und die Pubs waren ein Beispiel dafür. Aber Patrick hatte noch nie einen betreten. Er hatte zu viel Angst, sich zum Narren zu machen, wenn er einen Pub ganz allein besuchte, und war zu stolz, um Mickey zu bitten, er möge ihn einmal in eines mitnehmen. Aber das hielt ihn nicht davon ab zu träumen, und er stellte sich auch jetzt einen Moment lang vor, wie es sein würde, wenn er einfach die Straße überquerte und hineinginge. Drinnen würden Männer sitzen und Fußball gucken oder sich darüber unterhalten, und sie würden ihn nach seiner Meinung fragen, ob er irgendetwas wisse, und er würde ganz leise sagen: »Ich bin der Vater von Freddy Kamo«, und sie würden ganz erstaunt und fassungslos sein und begeistert, ihn kennenzulernen, und dann würden sie sich darüber streiten, wer ihm ein Bier ausgeben durfte, und würden ihm auf die Schulter klopfen und ihm sagen, wie toll sie Freddy fanden und wie sehr sie hofften, dass für ihn alles gutgehen würde. So stellte er sich das vor in seinem kleinen Traum.
    Patrick überquerte die King’s Road. Hier war Freddy früher immer sehr gerne hergekommen, um ein wenig zu flanieren, aber dann war er so berühmt geworden, dass das nicht mehr so ohne Weiteres ging. Zum Teil war sein charakteristischer Gang daran schuld. Er konnte sich mit einem Hut und ein paar schmuddeligen Kleidern tarnen, aber niemand ging so athletisch unelegant wie Freddy, immer auf den Zehenspitzen wippend, als könnte er jeden Moment stolpern, aber nie aus dem Schritt kommend. Sein Sohn, den die Götter angehaucht hatten. Auf Patrick war nie eine ähnliche Gnade herabgeregnet. Oder vielmehr, sein Sohn war diese Gnade, und er musste akzeptieren, dass er nur ein Anhängsel dieser Gnade, dieses Glücks, dieses Segens war. Aber wenn Patrick einmal ehrlich zu sich selbst war, dann musste er zugeben, dass ihm das nicht leichtfiel. Er ging die berühmte Straße entlang undschaute in die Schaufenster der teuren Geschäfte, wo Dinge verkauft wurden, von denen er sich nicht vorstellen konnte, dass sie irgendjemand besitzen oder benutzen wollte: Lampen, die nicht so aussahen, als würden sie Licht spenden, Schuhe, in denen keine Frau aufrecht stehen konnte, Mäntel, die niemanden warm halten würden, und Stühle, auf denen man nicht sitzen konnte. Die Leute wollten diese Dinge haben, anders konnte es nicht sein, oder die Läden würden sie nicht verkaufen. Aber Patrick war so weit davon entfernt, etwas davon für sich selbst haben zu wollen, dass ihn das Gefühl beschlich, nicht die zum Verkauf stehenden Dinge seien nutzlos, sondern er selbst. Entweder die Gegenstände befanden sich am falschen Ort oder die Person, die sie betrachtete; aber die Dinge gehörten so offensichtlich hierher, dass es die Person sein musste, die sich verirrt hatte und überflüssig war. Der gepflegte afrikanische Mann mittleren Alters, dessen Haar zu ergrauen begann, der elegant, aber unauffällig in einen Kamelhaarmantel, einen Schal und glänzende Schuhe gekleidet war und aufrecht dastand – er war es, der nicht hierherpasste.

41
    »You make me feel so young … you make me feel as though spring has sprung« – durch dich fühle ich mich so jung, als hätte gerade der Frühling begonnen –, sang Roger vor sich hin. Wenn auch lautlos, nur in seinem Kopf. Es wäre nicht besonders passend gewesen, es laut zu singen, denn er befand sich gerade in einer Besprechung mit Mark, seinem Stellvertreter, und einem Typen von der Buchhaltung. Dessen Namen hatte er bereits einmal vergessen und deshalb Mark bitten müssen, sein Gedächtnis aufzufrischen, während der Mann gerade für ein Telefongespräch nach draußen gegangen war. Woraufhin er ihn sofort wieder vergessen hatte. Es war irgendein stinknormaler englischer Name, aber eher von der längeren Sorte, so viel wusste Roger immerhin noch. Jonathan war eine Möglichkeit. Oder Alexander. Es waren jedenfalls mehrere Silben im Spiel. Für den Moment würde Roger einfach beim »Sie« bleiben müssen.
    Der Zweck dieser Besprechung war es, die monatliche Bilanz zu erstellen, in der die Performance der Abteilung mit dem Budget abgeglichen wurde. Das passierte ohnehin jeden Tag und auch einmal wöchentlich, aber einmal im Monat wurde diese Bilanz dann auch an die Buchhaltung weitergeleitet. Genauer gesagt half also gerade die

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