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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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dem neben ihm sitzenden Conrad dabei zuzuschauen, wie sie in aller Zufriedenheit Omeletts aßen. Der restliche Platz auf dem Tisch wurde von einer riesigen Zeichnung eingenommen. Sie war in zwei sehr verschiedenen Stilen ausgeführt worden, und es war nicht ganz leicht zu sagen, was sie darstellen sollte. Wenn man die Farben – sehr viel Rot und Orange – und die Identität der Künstler in Betracht zog, dann sollte es sich wahrscheinlich um eine Explosion handeln.
    »Wow!«, sagte Roger, der seine gewohnte umgängliche Art in vollem Umfang zurückgewonnen hatte. »Was für ein tolles Gemälde!«
    »Ich habe die obere Hälfte gemacht«, sagte Conrad. »Die Autobots kämpfen gegen die Decepticons.«
    »Hab unten macht«, sagte Joshua.
    »Ich finde beide Hälften klasse!«, sagte Roger.
    »Es ist noch etwas Omelett übrig«, sagte Matya, die am Herd stand. Roger war, wie ihm in diesem Moment klar wurde, wahnsinnig hungrig, aber er fand es taktisch unklug, zuzustimmen und dadurch das Risiko einzugehen, wieder in die Kinderbetreuung hineineingezogen zu werden; jetzt, wo doch das neue Kindermädchen die rettende Heldin gespielt und die Sache rausgerissen hatte. Also lehnte er mit großem Bedauern ab.
    »Ich glaube, ich gehe mal ein bisschen spazieren«, sagte Roger. Er sammelte Schlüssel, Mantel und Handy ein und verließ das Haus, um sich ein Sandwich zu kaufen. Dabei erfüllte ihn ein köstliches Gefühl von Freiheit und moralischer Überlegenheit.
    Als Arabella gegen vier Uhr nachmittags nach Hause kam, waren die Jungs gerade restlos glücklich damit beschäftigt, mit der neuen Liebe ihres Lebens zu spielen. Brillantes Timing. Roger, der oben in seinem Arbeitszimmer war und den Economist las, hörte, wie sich die Haustür öffnete und wieder schloss. Sofort begann sein Herz, schneller zu klopfen. Dann hörte er, wie Arabella den Flur hinunter ins Wohnzimmer ging, es kurz darauf wieder verließ und langsam die Treppe hochkam. Sie schleppte sich mit etwas ab, zweifellos mit ihrem Koffer. Die Geräusche, die sie dabei machte, klangen ein bisschen so, als gestehe sie bereits ihre Niederlage ein. Sie kam an seinem Arbeitszimmer vorbei – wegen des Lichts, das unter der Tür hindurchschien, würde sie wissen, dass er dort war – und ging ins Schlafzimmer. Ungefähr zehn Minuten später verließ sie das Schlafzimmer und klopfte an seine Tür.
    »Hallo!«, sagte Roger. »Hattest du einen schönen Urlaub?«
    »Ja, danke«, sagte Arabella. Sie war im Begriff, etwas hinzuzufügen, aber Roger schaffte es, sie zu unterbrechen:
    »Du hast Matya ja schon kennengelernt. Ich habe sie eingestellt.«
    »Also –«, sagte Arabella.
    Und in diesem Augenblick bewirkte eine wunderbare Fügung des Schicksals, dass das Telefon klingelte. Es war eine von Arabellas engsten Freundinnen aus Studienzeiten, die in der Zwischenzeit ein hohes Tier im Verlagswesen geworden war. Roger reichte seiner Frau das Telefon und hielt sich erneut die Zeitschrift vors Gesicht. Er hatte das aufregende Gefühl, dass mit seiner Ehe gerade eine grundlegende Veränderung vor sich gegangen war. Diese Veränderung war zerstörerischer Natur, wie er sehr wohl wusste, aber das war ja gerade der Reiz daran. Ein Graben hatte sich in ihrer Beziehung aufgetan, und er würde es ganz bewusst und mitvoller Absicht gar nicht erst versuchen, ihn zu überbrücken. Und daher saß er jetzt in seinem Büro in der City und sang lautlos »You make me feel so young« vor sich hin, während sein energiegeladener, aber irgendwie absonderlicher Stellvertreter die Zahlen durchging und lauter Zeugs im Verwaltungsjargon herunterrasselte. Roger nickte, brummte etwas, sagte: »Guter Vorschlag« und dachte an etwas vollkommen anderes. Durch dich fühle ich mich so jung, als hätte gerade der Frühling begonnen …

42
    Matya Balatu war in einer ungarischen Stadt namens Kecskemét aufgewachsen. Ihr Vater war Lehrer gewesen, genau wie ihre Mutter, obwohl sie mit dem Arbeiten aufgehört hatte, als Matyas kleiner Bruder geboren wurde. Die Familie hatte in einem kleinen Haus mit Garten gewohnt, in dem der Vater Gemüse anbaute.
    Als Matya zehn Jahre alt war, starben ihr Vater und ihr Bruder bei einem Autounfall. Ihre Mutter fing an zu trinken, und ihre Gesundheit verschlechterte sich rapide. Zwei Jahre später starb auch sie. Matya zog zu ihren Großeltern, die sich um sie gekümmert hatten, als sie noch ein Baby gewesen war und ihre Mutter gearbeitet hatte. Matya war gut in der Schule und ging

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