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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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ganz klar darüber, inwiefern sich das von »unsichtbar« unterschied, so dass sie zu dritt lauter Spiele spielten, in denen Unbesiegbarkeit und Unsichtbarkeit Hand in Hand gingen. Keine Frage, es machte Spaß, sich mit Conrad zu beschäftigen. Aber bei Joshua lag die Sache anders. Sie ging viel tiefer.
    Joshua gehörte ihr jeden Tag. Er und Matya waren ineinanderverliebt, und sie bemühten sich keineswegs, diese Tatsache voreinander zu verbergen. An manchen Tagen saß er auf einem Stuhl am Fenster und starrte die Tür an, durch die sie kommen würde – wie ein Hund, der auf sein Herrchen wartet. Ihr Herz machte jedes Mal einen kleinen Sprung, wenn sie das sah. Sobald sie reinkam, rannte er zur Tür, griff nach ihrer Hand und zog sie hinter sich her, während sie noch versuchte, mit ihrer freien Hand den Mantel abzulegen. Und das möglichst bevor er es schaffte, sie ins Wohnzimmer zu schleifen und sich dort zusammen mit ihr in ein Spiel oder eine Geschichte zu stürzen oder was auch immer er gerade am liebsten tat. Wenn sie morgens eintraf, steckte er mitten in irgendeinem Gedankengang: Es gab etwas, das er ihr unbedingt erzählen wollte, oder er hatte einen Plan, der sofort umgesetzt werden musste. Wenn Matya ins Zimmer kam und Joshua auf dem Sofa lag oder saß, dann wusste sie sofort, dass er krank war und dass heute »einer von diesen schlappen Tagen« werden würde, wie Arabella es nannte.
    Joshua genoss es auch sehr, zu dem See am anderen Ende des Parks zu gehen, um die Enten zu füttern, und auf dem Rückweg in dem Café neben dem Musikpavillon ein Eis zu essen. Oder er stand gerne am Rand des Skateboardparks und schaute den älteren Jungen dabei zu, wie sie die Rampen hinuntersausten (oder wieder hinauf, oder an den Rändern der Rampen entlang, oder wie sie rückwärts und seitwärts rollten); er liebte es, mit dem Bus zu fahren, egal wohin und zu welchem Zweck, und er ging wahnsinnig gern ins Aquarium. Dort faszinierten ihn besonders die Haie, aber sie jagten ihm natürlich auch Angst ein. Zu den Rochen hatte er da schon ein anderes Verhältnis. Vor denen fürchtete er sich zwar auch ein bisschen, aber er steckte dennoch mit Vorliebe seine Hand in den Wassertank, um sie zu streicheln. Danach war er jedes Mal sehr stolz auf sich – und auch auf die Rochen. Seine Reaktion auf die beiden Tierarten spiegelte also ziemlich genau die Grenze wider, die zwischen gespannter Aufregung und Angst liegt. Beim Essen dauerte es eine Weile, bis Matya herausgefundenhatte, was er mochte, obwohl sich das auch jederzeit ändern konnte. Meistens schien er gebackene Kartoffeln, Reis und Pommes Frites zu mögen, aber nie gekochte Kartoffeln; manchmal mochte er Kartoffelpüree, manchmal aber auch nicht, er liebte Brokkoli, hasste Kohl, mochte an manchen Tagen Käse und an anderen nicht, aber Parmesan immer, wenn auch nur in geriebener Form, er mochte Fleisch, aber nicht die angebrannten oder dunklen Stücke, die aussahen, als könnten sie Knorpel enthalten (selbst wenn sie ganz klar keinen Knorpel enthielten), und auch nicht solche Stücke, die blutig und halb roh aussahen; er hasste es, wenn etwas grün gesprenkelt war, weil es sich dann womöglich um irgendwelche Kräuter handelte, und mochte es ebenso wenig, wenn etwas dunkle Flecken hatte, weil dann möglicherweise Pfeffer drin war; er mochte keine Getränke mit Kohlensäure, aber auf jeden Fall solche, die süß waren, er mochte Fischstäbchen; er aß grundsätzliche keine Wurst, es sei denn, es wäre ein Hot Dog; er mochte Nudeln, aber nur mit Pesto und mit keiner anderen Soße; und es gab niemanden – Joshua selbst eingeschlossen –, der voraussagen konnte, ob dies, wenn man ihm das Essen vorsetzte, einer der Tage sein würde, an denen er Speck mochte oder nicht. Eine sehr nützliche Faustregel war, dass Joshua grundsätzlich diejenigen Gerichte toll fand, auf die er reichlich Ketchup oder Sojasoße schütten konnte.
    Es war ein sehr ungewohntes Gefühl für Matya, so heftig verliebt zu sein. Als sie vor drei Jahren nach London gekommen war, hatte sie in Fantasien geschwelgt, wie es wohl sein würde, den perfekten Mann kennenzulernen und Kinder zu finden, deren Betreuung ihr Spaß machte. Nichts von beidem war geschehen. Bei ihrem Aussehen hatte sie keine Probleme damit, Männer kennenzulernen, aber einen finden, mit dem sie etwas gemeinsam hatte, der sie respektvoll behandelte, der einen Job hatte, verantwortungsvoll war und mit dem es Spaß machte, etwas zu unternehmen,

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