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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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durchaus in Ordnung, anderen Menschen etwas nachzutragen oder ihnen das Leben schwer zu machen, aber wenn es um die Praxis ging, dann war sie einfach zu faul dazu. Groll und Kratzbürstigkeit waren auf Dauer viel zu anstrengend und die ganze Mühe nicht wert. Matya, die eine schwierige Kindheit gehabt hatte und nach London gekommen war, um diesen Erinnerungen zu entkommen, und die sehr gut darin war, anderen etwas nachzutragen und über ihre Verstöße genau Buch zu führen, fand diese Haltung erfrischend. Sie spürte, dass Arabella sie eigentlich ganz gerne unsympathisch gefunden hätte, um sich so an ihrem Mann zu rächen, dass sie aber dann feststellen musste, dass sie Matya mochte und deswegen den ersten Impuls fallengelassen hatte. Hinzu kam, dass Matya ihr das Leben sehrviel leichter machte, weil sie so gut mit den Kindern umgehen konnte, und Arabella schloss alle Menschen, die ihr das Leben leichter machten, tief in ihr Herz. Wenn der Mann vom Lieferservice die Kisten mit den Lebensmitteln ins Haus trug, dann sagte Arabella immer zu ihm: »Sie sind ein Engel «, und sie klang dabei, als meinte sie jedes Wort ernst – was in gewisser Weise sogar zutraf.
    Das Tolle an Arabella war, dass ihrer Ansicht nach das Leben Spaß machen und unkompliziert sein sollte und sie sich so verhielt, als wäre das auch so – was schon sehr viel dazu beitrug, dass es sich tatsächlich auch bewahrheitete. Und diese Haltung war ansteckend. An einem Morgen um neun, als Matya gerade eingetroffen und Arabella im Begriff war, ihr die Kinder zu übergeben, um für ein ausgiebiges Bad nach oben zu gehen, fiel ihr Blick zufällig auf Matyas Schuhe. Es handelte sich dabei um ein Paar flache Tennisschuhe mit einem grauweißen Karomuster.
    »Oh mein Gott! Die sind ja fantastisch! Die muss ich auch haben! Wo wo wo! Ich ahne schon, Sie werden mir sagen, dass sie aus einer kleinen verrückten Boutique stammen, die sich in einer Seitengasse irgendwo in einem arabischen Viertel von Budapest versteckt!«
    »Tooting«, sagte Matya.
    »Das ist ja sogar noch exotischer! Wunderbar – da fahren wir jetzt sofort hin.«
    »Jetzt sofort« war bei Arabella ein weitgefasster Begriff. Sie nahm trotzdem noch ihr Bad, schminkte sich in aller Ruhe und rief ein paar Leute an. Aber nachdem sie so gegen elf damit fertig war, packte sie tatsächlich Matya, Conrad und Joshua in ihren BMW und ließ sich von Matya den Weg zum Schuhgeschäft erklären. Ihre Energie und Begeisterung über diesen Ausflug riss sie alle mit, so dass sie bald zu viert kichernd und kreischend im Auto saßen. Arabella kaufte dabei »den halben Laden auf«, wie sie sich ausdrückte, und bestand darauf, auch noch zwei Paar Schuhe für Matya zu kaufen. Ihre Großzügigkeit war so instinktiv und gedankenlos,als handele es sich dabei gar nicht wirklich um Großzügigkeit – als sei es etwas ganz anderes, ein Überschuss an Energie vielleicht; oder als gäbe es so etwas wie Geld überhaupt nicht, als kosteten die Dinge nichts und als sei es deshalb vollkommen natürlich, dass man sie an andere Leute verschenkte, weil sie ja sowieso umsonst waren. Matya war noch nie zuvor so jemandem begegnet. Ein paar ihrer früheren Arbeitgeber waren reich gewesen, aber sie waren eher vorsichtig mit ihrem Geld, prüften jedes Mal aufmerksam, wie viel Wechselgeld sie bekamen und was auf der Rechnung stand, und wenn sie sich beim Zusammenzählen der Arbeitsstunden irrten, dann geschah das immer nur zu ihrem eigenen Vorteil. Man konnte kaum umhin, Arabellas Freigiebigkeit liebenswert zu finden.
    Das Beste an diesem Job jedoch war Joshua. Conrad war wieder zurück in der Schule, also sah Matya ihn immer erst, wenn er um Viertel vor vier nach Hause kam, oder während der Ferien oder wenn er einen freien Tag hatte. Er war ein gutherziger Junge, wenn auch ein wenig unbeherrscht. Und er war es nicht gewohnt, dass man ihm etwas abschlug. Deswegen war es manchmal nicht ganz leicht, mit ihm fertigzuwerden. Im Augenblick begeisterte sich Conrad hauptsächlich für ein Thema: Superkräfte. Wenn man sich mit ihm unterhielt, kam unweigerlich die Sprache darauf. Er verkündete, er könne fliegen, oder er fragte Matya, ob sie Hitzestrahlen aus ihren Augen schießen lassen konnte, und wenn nicht, warum sie das nicht könne? Oder er gab feierlich bekannt, dass er über »die Macht des Doppelboxhiebs« verfüge und reckte dabei beide Fäuste in die Höhe. Er gebrauchte mit Vorliebe das Wort »unbesiegbar«, war sich aber nicht

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