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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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und sein Stellvertreter blickten einander an. Keiner von ihnen sah zu Lothar hinüber, der in Marks Fall der Vorgesetzte seines Vorgesetzten war.
    »Nein«, sagte Roger. »Immer noch zu viel.«
    Mark senkte leicht den Kopf. Weil er gleichzeitig an seinem Kuli herumspielte, wirkte das Ganze, als würde er in einer Geste der Selbsterniedrigung die Hände ringen.
    »Ich lasse es zurückgehen, mit dem Hinweis, dass Sie noch nicht zufrieden waren.« Er nickte und verließ das Büro rückwärts in Richtung des Parketts.
    »Gut«, sagte Lothar. Das war eines der wenigen Wörter, bei denen sein deutscher Akzent ganz schwach zum Vorschein kam.
    Roger stand auf, streckte sich zu seiner vollen Größe und ging in Richtung der Tür, die Mark beim Hinausgehen hinter sich geschlossen hatte. Er öffnete die Jalousien mit einem Knopfdruck und schaute nach draußen, wo seine Kollegen in den verschiedensten Körperhaltungen auf ihren Stühlen saßen. Manche beugten sich nah an den Bildschirm heran, andere saßen zusammengekrümmt oder nach hinten gekippt, wieder andere waren aufgestanden und gingen hin und her, während sie in ihre Headsets sprachen. Die Sonne war untergegangen, was die Lichter in demzweiten Canary Wharf Tower noch heller erscheinen ließ. Die einzigen Leute, die aus dem Fenster schauten, telefonierten gerade; sie kauften oder verkauften. Ein paar seiner Kollegen nickten und grinsten Mark an, während er an ihnen vorbeiging. Roger erwischte sich dabei, wie er einen Augenblick lang an seine Million Pfund dachte. Dann riss er sich zusammen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Lothar zu.
    »Das sind gute Leute da draußen«, sagte er. »Sie arbeiten hart und können trotzdem das Leben genießen. Wie Kids heutzutage halt so sind.«
    »Die Zahlen sehen ziemlich gut aus«, sagte Lothar in neutralem Ton.
    Ja!, dachte Roger.

4
    Ahmed Kamal, dem der Laden in Hausnummer 68 am Ende der Pepys Road gehörte, wurde um 3.59 Uhr morgens wach, genau eine Minute bevor sein Wecker klingelte. Durch lange Übung war er in der Lage, seine Hand auszustrecken und den Knopf auf der Digitaluhr herunterzudrücken, ohne dabei ganz aufzuwachen. Dann rollte er wieder auf die andere Seite und schmiegte sich an seine Frau Rohinka, die noch in völligem Tiefschlaf versunken war.
    Ahmed war daran gewöhnt, früh aufzuwachen. Es machte ihm nicht besonders viel aus, aber er verließ nicht gerne das Bett, wenn Rohinka so warm und das Haus so kalt war. In einer weit entfernten Vergangenheit, als sie noch keine Kinder hatten, war das Heizungssystem so eingestellt gewesen, dass es sich einschaltete, wenn er aufstand. Aber das Haus war klein. Es hatte auf jeder Etage nur zwei Räume, und das Kinderzimmer befand sich genau über der winzigen Küche. Wenn der Heizkessel anging, machte er ein Geräusch, das zwar nicht besonders laut war, aber durch irgendeine dunkle Magie der Schallleitung ihren Sohn Mohammed aus dem Schlaf riss, gerade so, als wäre ein knatterndes Motorrad vorbeigefahren. Mohammed, der achtzehn Monate alt war, weckte dann garantiert die vierjährige Fatima auf, die ihrerseits sofort ins Schlafzimmer marschiert kam und Rohinka aufweckte, so dass der Tag bereits um vier Uhr morgens auf dem besten Wege war, ein Fiasko zu werden. Die einzige Lösung war, die Heizung erst später am Morgen einzuschalten und einfach mehr anzuziehen. Und genau das tat Ahmed. Aber bevor er aufstand, blieb er noch eine Weile im warmen Ehebett liegen und zählte langsam bis hundert.
    Genau bei hundert kletterte er aus dem Bett. Das war Teil einesfestgelegten Tagesablaufs. Ahmed war nämlich fest davon überzeugt, dass er keine Sekunde länger warten durfte, sonst würde er gar nicht mehr aufstehen. Dann zog er zwei Gap-T-Shirts an, eins in Medium und eins in Extra Large, ein dickes Baumwollhemd, das ihm seine Mutter aus Lahore geschickt hatte, einen Kaschmirpullover, den Rohinka ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, ein Paar Boxershorts, zwei Paar Socken, eine dicke braune Hose und schließlich noch ein Paar fingerlose Handschuhe. Rohinka lachte immer darüber, wie schäbig die Handschuhe aussahen, aber sie taten ihm gute Dienste. Vor allem bei der ersten Tagesaufgabe, die darin bestand, die Zeitungen reinzuholen, die Verpackung und das Plastikband aufzuschneiden und die Lieferungen und täglichen Schaufensterauslagen fertig zu machen. Ahmed ging langsam nach unten und vermied dabei die dritte, fünfte und achte Stufe, die alle knarrten. Er erreichte die Küche, ohne

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