Kapital: Roman (German Edition)
lieber den dringend benötigten Sex zu genießen. Es wäre ja schließlich das letzte Mal! Das allerletzte Mal! Dann nahmen die Dinge ihren Lauf, der Sex war vorbei, und da saßen sie dann, Davina und Zbigniew, auf dem Sofa, oder auf der Erde, oder im Bett, und Zbigniew verspürte diese quälende Mischung aus uneingeschränktem körperlichen Wohlgefühl und tiefstem emotionalen Elend. Er fühlte sich schwach und wie ein Feigling, und das Schlimmste war, dass er in solchen Momenten plötzlich eine große Zuneigung zu Davina empfand, das Gefühl emotionaler Nähe und Dankbarkeit, wodurch er sich wiederum noch elender und schwächlicher fühlte. Zbigniew mochte es nicht, wenn er sich selbst nicht mochte.
Eine SMS. Das war doch eine Möglichkeit. Er konnte mit einer SMS Schluss machen. Aber das war schon wieder so undenkbar, dass Zbigniew es regelrecht genoss, darüber nachzudenken.
Manchmal ist der einzige Weg, auf dem man etwas tun kann, der, es eben einfach zu tun. Zbigniew wusste das. Er arbeitete gerade in einem Haus in Clapham, das von der Besitzerin renoviert wurde, weil ihr Mann vor Kurzem mit seiner Sekretärin abgehauen war. Sie ließ die Wände violett streichen – ein wütendes Violett. Menschen trennten sich von anderen Menschen. Es war nicht leicht, aber es geschah andauernd. Sie hatten dabei endgültige, unanfechtbare Argumente und sagten Dinge, die man nicht mehr ungesagt machen konnte; sie wachten eines Morgens auf und stellten fest, dass ihr Leben so, wie es gerade aussah, nicht weitergehen konnte. Menschen entschieden, dass sie nicht mehr verliebt waren, also gingen sie einfach. Und manchmal ging es dabei sogar ganz freundschaftlich zu. Es stellte sich oft heraus, dass die Person, mit der Schluss gemacht wurde, selbst darüber nachgedacht hatte, diesen Schritt zu machen. Oft war es erstaunlich einfach. Es war besser so – die Menschen einigten sich ganz friedlich darauf, dass es besser so war. Das passierte andauernd!
Und aus all diesen Gründen war also heute der Tag gekommen. Zbigniew hatte am Tag zuvor entschieden, dass es heute passieren würde, und sein erster Gedanke, als er morgens aufstand, war: Heute ist der Tag, an dem ich es tun werde. Er war aufgewacht, hatte Piotr ignoriert, war aufs Klo gegangen, hatte sich angezogen, hatte Piotr noch ein bisschen weiter ignoriert, hatte ein paar Cornflakes gegessen, war zur Arbeit gegangen, war von der verrückten geschiedenen Lady ins Haus gelassen worden, hatte den Flur violett angestrichen, eine Mittagspause gemacht, nach seinen Wertpapierbeständen gesehen, noch ein paar weitere Wände violett gestrichen, sich ein wenig mit der verrückten Lady darüber unterhalten, wie lange der Rest der Arbeit in Anspruch nehmen würde, hatte so getan, als würde er nicht zuhören, während sie sich am Telefon eine Viertelstunde lang mit jemandem darüber unterhielt, wie sehr sie ihren Exmann hasste, und dass sie nicht dieser »Hure« die Schuld gab, sondern nur ihm allein; er war nach Hause gegangen, um sich umzuziehen, hatte Piotr wieder ignoriert und wardann zu der Bar am Parkrand gegangen, wo sie sich kennengelernt hatten, um dort Davina zu treffen und mit ihr Schluss zu machen. Und während der ganzen Zeit war er von der Gewissheit erfüllt gewesen, dass heute der Tag der Trennung gekommen war, und hatte sich überlegt, wie er es sagen würde. Zbigniew wusste aus Erfahrung, dass es notwendig war, sich deutlich und unmissverständlich auszudrücken und es sofort zu Beginn der Unterhaltung hinter sich zu bringen. Danach konnte er dann nette Sachen sagen, wenn sie überhaupt in der Verfassung war, ihm zuzuhören, und wenn nicht, dann war es auch egal, dann würde er einfach abhauen. Das Schlimmste wäre dann vorbei.
»Meine Großmutter liegt im Sterben. Ich muss heim nach Polen. Wir können uns nie wiedersehen.«
»Ich bin schwul.«
»Ich habe Aids.«
»Ich bin schwul und habe Aids.«
»Ich bin schwul und habe Aids, und meine Großmutter in Polen liegt im Sterben, auch an Aids, und ich muss zurück nach Polen, und mein Handyvertrag läuft gerade aus, deshalb kannst du mich nicht anrufen.«
Das wäre vielleicht ein wenig zu viel.
Zbigniew kam eine Viertelstunde zu früh in die Bar. Die Wahl dieses Ortes war das Ergebnis sorgfältigster Abwägungen gewesen. Er hatte versucht zu entscheiden, ob es besser sei, sich in privater oder öffentlicher Umgebung zu unterhalten. Der wesentliche Punkt war dabei die Frage gewesen, ob sie sich eher beherrschen
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