Kapital: Roman (German Edition)
Verwandeln dieses Schaffensgeistes in Gedanken und Provokationen, die dann auch andere Menschen zum Denken und Träumen brachten. Und das würde ihm dann Anerkennung bringen; es würde dazu führen, dass die Menschen ihn wahrnahmen, so wie er war. Er würde nicht mehr anonym sein. Er würde etwas Bedeutendes kreieren und bekannt werden, und das wäre dann sein Leben. Aber im Augenblick war er nur der entlassene Ex-Assistent irgendeines anderen Künstlers. Das war natürlich nicht leicht für ihn, das konnte Daisy verstehen.
Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung schwang Parker seine Beine über die Bettkante und richtete sich auf. Das war die Kehrseite seines komaähnlichen Schlafs, eine Seite, an die Daisy sich nie hatte gewöhnen können, obwohl sie es sicherlich schon tausendmal gesehen hatte: Wenn Parker aufwachte, dann war er sofort bei vollem Bewusstsein und wurde augenblicklich aktiv. Es gab keine Übergangsphase; es war fast so, als hätte er einen Knopf zum Ein- und Ausschalten. Er stand auf, splitterfasernackt, und ging in Richtung des En-Suite-Badezimmers. Bereits jetzt, kaum dass er aufgestanden war, wirkte seine Körpersprache matt, niedergeschlagen und deprimiert. Sein schlanker, fester Körper mit den schmalen Schultern hatte eine ganz andere Ausstrahlung als sonst. Daisy konnte förmlich sehen, wie Wellen der Schwermut von ihm ausgingen. O ja, das war noch etwas, in dem Parker sehr talentiert war: seine schlechte Laune auf seine Umgebung zu übertragen.
Daisy lauschte, wie schon so oft, dem Geräusch von Parkerserstaunlich gewaltigem, geradezu verschwenderischem Pinkelstrahl – noch eines seiner Talente, er hatte eine Blase wie ein Karrengaul – und dann dem Klang seiner elektrischen Zahnbürste. Als er wieder zurück ins Zimmer kam, hatte sie sich ein wenig im Bett aufgesetzt und das oberste Laken so weit hochgezogen, dass es gerade eben noch ihre Brüste bedeckte. Sie hatte das in der schwachen Hoffnung getan, es könnte ihn vielleicht auf gewisse Gedanken bringen.
»Was sollen wir heute unternehmen?«, fragte sie.
Aber Parker war immer noch in seinem Keiner-weiß-was-ich-durchmache-Modus. Er zuckte mit den Schultern.
»Ist mir egal.«
»Wir könnten einen Spaziergang zu dem Dorf machen, wo die Kirche mit diesem versauten Steinrelief steht, von dem du mir erzählt hast. Dieses heidnische Ding, wo sie ihre Beine öffnet und allen ihre Vulva zeigt, dieses alte, vorchristliche Artefakt. Wie heißt es noch? Ein Sheela-na-Gig?« Daisy wusste, dass dieses Relief genau Parkers Fall war. Er hatte es schon früher einmal erwähnt, und das mehr als einmal. Ihre Idee entsprang einem ganz ähnlichen Motiv, wie wenn man einem Kind ein Eis anbietet.
»Wär ’ne Idee«, sagte er. Diese drei Worte kamen einer Kriegserklärung gleich. Parker und Daisy waren beide in Norfolk aufgewachsen, wo die langweiligsten Leute, die ihr in ihrem Leben je begegnet waren, genau diesen Satz benutzten, um aus jeglicher Unterhaltung, Diskussion oder Planung die Luft herauszulassen. »Wär ’ne Idee«: Das zerstörte – und das war auch genau die Absicht – jegliche intellektuelle Leidenschaft. Parker wusste genau, wie sehr sie diese Worte hasste, und dass für sie darin die wohlbehütete, muffige, provinzielle Kindheit auf den Punkt gebracht wurde, aus der sie beide sich so mühsam befreit hatten. »Wär ’ne Idee«: Na toll.
»Jetzt hör mal zu«, sagte Daisy und zog auch den Rest der Bettdecke hoch. »Es tut mir leid, dass du deinen Job verloren hast, wirklich. Es ist nicht fair. Ich bin mir sicher, dass du alles getanhast, was von dir verlangt wurde, und dass du es sehr gut gemacht hast. Aber es gibt auch noch andere Sachen, die nicht fair sind, und dazu gehört zum Beispiel, sich so zu verhalten, als hätte ich dir etwas Böses getan. Ich versuche nur, nett zu dir zu sein und dich abzulenken und uns beiden ein schönes Wochenende zu bereiten. Das ist alles, was ich hier versuche – etwas Nettes zu tun. Du brauchst mich nicht so zu behandeln, als wäre ich deine Tante, die dich zwingt, das Geschirr zu spülen.«
Parker setzte sich aufs Bett. Gott sei Dank, er schien sich wieder ein ganz kleinwenig zurück in den normalen Parker zu verwandeln, der nicht von Kummer und Gram gebeugt war.
»Tut mir leid. Ich hatte nicht die Absicht, dich so runterzuziehen.«
Daisy merkte sofort, wie sie dahinschmolz.
»Ach, Schatz, ich weiß, und du ziehst mich nicht runter, das tust du nie.«
»Doch, das tu ich, das habe ich getan,
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