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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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acht alle bei der Arbeit. Viele saßen bereits um sieben Uhr an ihren Schreibtischen. Wenn man allein im Gebäude sein wollte, musste man schon weit vor sechs Uhr dort auftauchen.
    Als Mark um halb sechs ins Foyer kam, hatten noch die Nachtwächter Dienst. Er war um Viertel vor eins von der Wohltätigkeitsveranstaltung nach Hause gekommen und hatte nur vier Stunden geschlafen. Er hatte sich darauf trainiert, mit wenig Schlaf auszukommen – ein Zeichen seiner Willensstärke. Im Dunkeln wirkte das Atrium warm und einladend, ganz anders als bei Tageslicht, wenn die riesigen Glasscheiben dafür sorgten, dass die Luft überhitzt und stickig wurde. Am Pult der Sicherheitsschleuse saß heute ein karibischer Mann um die fünfzig, der weder sprach noch lächelte. Er überprüfte Marks Firmenausweis und vermerkte seine Ankunft in einer Liste. Mark ging zu den Aufzügen. Er betrachtete sein Gesicht, das sich im Edelstahl spiegelte. Dann sagte er:
    »Ich bin hier, um vor unserer Besprechung mit Lothar schon mal ein wenig mit der wöchentlichen Bilanz voranzukommen.« Seine Stimme, deren Echo von den Metallwänden widerhallte, klang überzeugend. Es war eine gute Idee, so etwas vorher zu üben. Er tat das immer, wenn er wusste, dass er höchstwahrscheinlich in eine Situation geraten würde, wo er lügen musste: Sprich es laut aus, um zu prüfen, wie es sich anhört. »Ich muss mich auf die Besprechung vorbereiten«, sagte er. »Ich mach nur, was sie einem in der Armee immer ans Herz legen. Die sieben Vs: Vollkommene Vorbereitung und Voraussicht vermeidet verflucht-verschissenes Versagen.«
    Es würde schon alles gutgehen. Höchstwahrscheinlich würdevor sechs Uhr ohnehin niemand eintreffen. Auf jeden Fall war jetzt noch niemand da; er hatte, während er durch die Sicherheitsschleuse ging, die Liste überprüft, in die man sich eintragen musste, wenn man außerhalb der Geschäftszeiten in die Bank kam.
    Mark genoss es, in dem Handelsraum ganz für sich allein zu sein. Die dort herrschende Leere, die ausgeschalteten Monitore und die Dunkelheit vor den Fenstern hatten etwas leicht Gruseliges, genau wie die unheimliche Stille. Denn eigentlich war dieser Ort dafür konzipiert, dass sich eine Menge von Menschen darin aufhielt, Menschen, die Krach machten, sich anbrüllten, wild gestikulierten, Blut und Wasser schwitzten, drei Computerbildschirme gleichzeitig im Auge behielten, während sie auf zwei Telefonleitungen sprachen und mit einem Dutzend Transaktionen jonglierten. Es war jedoch genau diese verstörende Atmosphäre, die Mark mochte. Die meisten Leute kämen damit nicht klar. Sie würden die Nerven verlieren. Aber er war eben nicht wie die meisten Leute. Das war ja der springende Punkt.
    Er warf seine Aktentasche auf den Schreibtisch, zog die Jacke aus und streckte sich. Die heutige Mission lautete: Passwörter. Vor ungefähr einem Jahr hatte Pinker Llyod ein externes Beraterteam engagiert, das die Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit Computerkriminalität und Hackerangriffen einschätzen sollte. Eine der Hauptempfehlungen war gewesen, die zu lasche Sicherheitsstufe der Passwörter zu ändern. Das Problem, so hieß es, bestünde insbesondere darin, dass die Bank es ihren Angestellten erlaubte, eigene Passwörter zu erstellen. Es kam viel zu oft vor, dass die Leute Passwörter benutzten, die sie bereits auf anderen Computern verwendet hatten; es gab sogar ein paar ungeheuerliche Fälle, wo die Angestellten für all ihre Konten dasselbe Passwort benutzten, zu Hause und bei der Arbeit. Das war natürlich eklatant gefährlich: Jeder Außenstehende, der ein Passwort knackte, das für ein privates E-Mail-Konto benutzt wurde, oder bei eBay oder sonst irgendeinem Internet-Shoppingportal, konnte sichdann unmittelbar in das Computersystem von Pinker Lloyd hacken. Das war inakzeptabel. Also empfahl man der Firma, an allen Stellen, die den Zugriff auf das System erlaubten, ein neues Sicherheitsprotokoll einzuführen. Dabei sollte man eine Reihe von Zahlen und Nummern benutzen, die sich auf keinen Fall erraten ließ, mit zUfÄlliG einGefügTen gRoßBúchStãben. Das neue Passwort würde sich jede Woche ändern. Die dahinterstehende Logik war einwandfrei. Aber sie war auch vollkommen falsch, denn die neuen Passwörter hatten einen großen Fehler: Es mochte zwar unmöglich sein, sie zu erraten, aber es war ebenso unmöglich, sie im Kopf zu behalten. Weil niemand dazu in der Lage war, schrieben alle sie auf. Alles, was man tun musste, um

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