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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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und Vielfalt Londons. Es war eine sehr geschichtsträchtige Stadt, aber auch die Gegenwart hatte überall ihre Spuren hinterlassen: Baustellen, Plakatwände, ein unbedeutender Unfall, bei dem ein weißer Kleinbus auf einen Milchwagen aufgefahren war, woraufhin die Polizei eine Fahrbahn gesperrt hatte, und überall die erdrückende Masse des Verkehrs. Erdrückende Masse – wie vieles im Leben sich doch mit diesen Worten umschreiben ließ. Dann ließ der Verkehr etwas nach, und sie näherten sich dem Hochstraßenabschnitt der M4. Die Straße stieg an und schlängelte sich zwischen den Bürogebäuden hindurch, deren Architektur man früher einmal für den Inbegriff der Zukunft gehalten hatte. Das hier war ein ganz anderes London als das, was Ahmed sonst kannte, und er fand es gar nicht mal so schlecht.
    Shahid beschloss, selbst für seine Unterhaltung zu sorgen.
    »Kommt, wir schließen Wetten darüber ab, was sie als Erstes sagen wird.«
    Usman machte ein finsteres Gesicht: Wetten war »unislamisch«.
    »Keine echte Wette, du Knall-«, aber im letzten Moment erinnerte er sich an Mohammed und Fatima und unterbrach sich, bevor er »-kopf« sagten konnte. »-erbse. Knallerbse.« Ahmed versuchte ihn durch einen bösen Blick in den Rückspiegel zum Schweigen zu bringen, aber Rohinka verdarb alles, indem sie zu kichern begann. Das interpretierte Shahid als Erlaubnis weiterzumachen. »Ich bin als Erster dran. Sie wird sagen: ›Ahmed, du bist sogar noch fetter geworden.‹«
    »Fetter Papi!«, rief Mohammed.
    »Der Flug war grauenvoll«, sagte Rohinka, wobei sie ihre Stimme eine halbe Oktave senkte und noch einen Lahore-Akzent hinzufügte. Es gelang ihr, Mrs Kamal beängstigend ähnlich zu klingen.
    »Hallo!«, sagte Fatima. »Sie wird Hallo! sagen.« Alle applaudierten und nannten sie ein sehr kluges Mädchen – und Shahid merkte, dass er besser aufpassen musste, was er sagte.
    Es war nie eine erfreuliche Angelegenheit, nach Heathrow zu fahren. Aber heute war es schlimmer denn je. Überall gab es Baustellen, und die Sicherheitsvorkehrungen waren noch strenger geworden. Ahmed spürte, wie er immer gestresster wurde, während sie im Stau steckten. Sie blieben stehen, fuhren zehn Meter und blieben dann wieder stehen. Von ganz hinten im Auto breitete sich ein Geruch aus, der nahelegte, dass Mohammed – der vollkommen glücklich und mit hochherrschaftlicher Seelenruhe aus dem Fenster schaute – ein kleines Präsent in seine Windeln gemacht hatte.
    »Wir werden zu spät kommen«, sagte Usman. Diese Bemerkung war ebenso wahr wie überflüssig. Sie hatten zwei Stunden für die Fahrt nach Heathrow eingeplant, aber das würde nicht reichen. Ahmed merkte, wie der Besuch seiner Mutter schon zur Katastrophe wurde, bevor er überhaupt angefangen hatte. Wenn es je in der Welt eine Person gegeben hatte, die in der Lage war, vier Wochen lang ihre Umgebung dafür zu bestrafen, dass man sie zu spät am Flughafen abgeholt hatte, dann war das Mrs Ramesh Kamal aus der Bandung Street Nr. 29 in Lahore. Ahmed suchte nach einer Lösung, irgendetwas, was sie tun könnten – aber sie hatten noch nicht einmal den Zufahrtstunnel durchquert. Sie waren noch nicht einmal an dem Kreisverkehr angekommen, wo früher einmal das Modell der Concorde gestanden hatte, bevor sie abgestürzt war und man das Flugzeug aus dem Verkehr gezogen hatte. Sie würden es auch zu Fuß nicht mehr schaffen, wenn man überhaupt Leute zu Fuß durch den Tunnel gehen ließ, was Ahmed bezweifelte. Er könnte umkehren und heimfahren und so tun, als hätte er sich im Tag geirrt … nein, was dachte er da bloß für einen Unsinn? Die anderen würden es nie schaffen, dichtzuhalten. Und dann ließ, wie durch ein Wunder, der Verkehr ganz plötzlich nach, ohne dass man es sich hätte erklären können. Die Bremslichter der Autos vor ihm erloschen, die Motoren wurden angelassen, dannkrochen die Wagen vorwärts und schließlich waren sie wirklich und tatsächlich auf der Weiterfahrt. Allah sei Dank. Die Polizisten mit den Maschinengewehren, die an der Sicherheitsschranke standen, ließen nun, aus irgendeinem unerfindlichen Grund, den Verkehr einfach passieren. Ahmed bog ein wenig zu forsch in das Kurzzeitparkhaus ein, so dass einer der Vorderreifen auf den erhöhten Betonstreifen auffuhr. Dann zog er sich ein Ticket, parkte, scheuchte seine Familie aus dem Auto, half Rohinka beim Auseinanderklappen des Kinderwagens und dabei, Mohammed darin zu verstauen, der die ganze Aufregung

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