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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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seelenruhig über sich ergehen ließ, und trieb dann, in großer Hast den Schildern folgend, alle über die Brücke zum Flughafen. Ahmed schob den Kinderwagen, Rohinka zog Fatima an der Hand hinter sich her, und die beiden jüngeren Brüder folgten ihnen, Shahid lachend und Usman mit finsterem Gesichtsausdruck. Sie bahnten sich ihren Weg durch die Menge, quer durch die Chauffeure der Abholservices, die ihre Schilder in die Höhe hielten, quer durch die sich wortlos und tränenreich umarmenden Paare, quer durch eine Reisegruppe, die sich um einen hochgehaltenen Schirm versammelte, quer durch eine Familie, die sich neben einem Rollstuhl auf die Erde gekauert hatte, und versuchten dann hastig, die richtige Position im Ankunftsbereich einzunehmen, jenem seltsam unstrukturierten Ort in Heathrow, wo man die Angekommenen kaum von den Ankommenden unterscheiden konnte und Ankunftsbereich und Empfangsbereich unauflösbar miteinander zu verschmelzen scheinen. Gerade als sie dort eingetroffen waren und versuchten, sich wieder einigermaßen zu beruhigen, kam Mrs Kamal. Sie hatte die Stirn gerunzelt und schob einen Kofferkuli mit drei Koffern vor sich her. Als sie ihre Familie entdeckte, wie sie dort zu sechst standen, drei Söhne, zwei Enkel und eine Schwiegertochter, schwenkte sie, ohne eine Miene zu verziehen in ihre Richtung ein. Alle hatten ihre Begrüßungsgesichter aufgesetzt. Mrs Kamal blieb mit ihrem Kofferkuli vor ihnen stehen und sagte:
    »Und wer passt jetzt auf unseren Laden auf ?«

66
    In einem Café in Brixton saß Smitty vor einem Teller mit Speck, Eiern, Würstchen, gebackenen Bohnen, Pommes Frites und Toast und versuchte, sich so wenig wie möglich zu bewegen.
    Smitty kannte einen Fabrikanten, der ihm dabei half, einige der Gegenstände herzustellen, die er für seine Projekte brauchte. Smitty lieferte ihm die Designs, sie unterhielten sich darüber, der Mann entwarf am Computer ein paar 3D-Bilder, erstellte dann einen Prototyp und fertigte schließlich das Objekt selbst an. Seine Fabrik lag in Brixton. Immer wenn sie zusammenarbeiteten, musste Smitty mühsam mit der Victoria-U-Bahn-Linie hin- und wieder zurückfahren. Wenn er es nicht ganz so eilig hatte, nahm er auch manchmal seinen BMW. Im Augenblick war der Mann gerade damit beschäftigt, letzte Hand an einen fast drei Meter hohen Betondildo zu legen, der so aussehen sollte, als sei er aus Plastik oder Silikon oder woraus auch immer Dildos hergestellt wurden. Smitty war noch nicht ganz sicher, wofür er ihn benutzen würde. Er mochte einfach die Vorstellung, dass dieses Ding so aussehen würde, als wäre es aus einem leichten Material, das man gerne anfasste. Dann jedoch würde es sich als das genaue Gegenteil herausstellen: scheußlich schwer, starr und ekelhaft rauh. Dildos waren etwas Persönliches, Skulpturen etwas Öffentliches. Bei dem Werk ginge es dann um, um, um … um irgendetwas. Das Schwierigste daran würde sein, den Dreimeterbetondildo an seinen Bestimmungsort zu schaffen. Aber darüber würde er sich ein anderes Mal den Kopf zerbrechen. Im Augenblick gab es dringendere Probleme.
    Das erste Problem war, dass er zu der Fabrik gekommen war, und der Mann war gar nicht da. Das Gebäude, das, ähnlich wie Smittys Atelier, früher eine Lagerhalle gewesen war, war mit einer Kette verschlossen. Keine Antwort aus der Gegensprechanlage.Ganz offensichtlich war etwas ganz böse schiefgelaufen. Er hätte gerne dem Fabrikanten die Schuld gegeben, aber das konnte er schlecht, denn einen Termin wie diesen würde der auf keinen Fall vergessen. Die Panne musste also bei ihm passiert sein. Wahrscheinlich war sein neuer hohlköpfiger Assistent daran schuld, der, der seinen alten hohlköpfigen Assistenten ersetzt hatte. Obwohl, um fair zu sein, dieser neue Nigel war viel weniger hohlköpfig als der alte. Was die menschliche Seite der Angelegenheit anbetraf, war er sogar überhaupt nicht hohlköpfig, denn er wusste sich zu benehmen und zollte seinem Arbeitgeber den ihm gebührenden Respekt. Doch manchmal machte er ziemlich hohlköpfige Fehler, und die Terminabsprache bei diesem Treffen schien so ein Fehler zu sein. Smitty beschloss, noch eine halbe Stunde zu warten und sich dann wieder auf den Rückweg nach Shoreditch zu machen.
    Deswegen saß Smitty in einem Café, das hundert Meter die Straße runter von der Lagerhalle entfernt lag, trank eine Tasse Tee und gönnte sich ein umfangreiches englisches Frühstück. Normalerweise aß er so etwas nicht. Er war eher der

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