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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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schlanke junge Frau, bei der es sich um Matya handelte, wartete noch einen Moment und kam dann zu ihm, um Joshua einzusammeln. Typisch Mann, total unbrauchbar, dachte sie. Keine Lust, sich Mühe zu geben. Zbigniew dachte: Das ist die attraktivste Frau, der ich je in meinem Leben begegnet bin. Ich will sofort mit ihr schlafen.
    »Wir haben gerade ein Spiel gespielt«, sagte sie. Sie ärgerte sich darüber, dass sie das Bedürfnis zu haben schien, die Situation zu erklären. Gleichzeitig schaffte sie es jedoch, mit ihren Worten den Eindruck zu vermitteln, dass Zbigniew ihrer Meinung nach ein emotional verkümmerter, gefühlskalter, minderbemittelter, arroganter Idiot sei, und dass man ihn, wenn es nach ihr ginge, gleich wieder aus dem Haus schmeißen könnte.
    »Ja«, sagte er. »Ich bin hier, um mit Mrs Yount zu sprechen. Ich –« Er merkte, dass ihm gerade das englische Wort für Streichen nicht einfiel, also machte er eine Auf- und Abbewegung mit einer imaginären Farbwalze. Joshua und Conrad hatten sich an Matyas Beine geklammert, jeder an eines, hatten beide ihren Daumen in den Mund gesteckt und schauten zu Zbigniew hoch, als hätten sie so etwas wie ihn noch nie gesehen.
    Joshua nahm den Daumen aus dem Mund. »Ich hab heute schon Aa gemacht«, sagte er freundlich, als wollte er dabei behilflich sein, das Eis zu brechen.
    Zbigniew brummte. Er hatte damit ausdrücken wollen, dass er die Sache recht lustig fand, klang aber stattdessen ziemlich mürrisch. Joshua steckte den Daumen wieder in den Mund. Zbigniew fragte sich, was man auf so eine Bemerkung wohl am besten antwortete. Gut gemacht? Und, freust du dich darüber? Ich bin auch auf dem Klo gewesen, möchtest du, dass ich dir erzähle, wie’s war? Was sagte man bloß am besten zu Kindern? Und dann dachte er noch: Ich frage mich, was sie wohl von mir denkt? Hätte er gewusst, was Matya dachte, hätte er das sehr beschämend gefunden. Sie dachte nämlich gerade: Typisch arroganter Pole, macht sich keine Mühe, glaubt, Warschau sei das Zentrum des Universums, kann überhaupt nicht mit Kindern umgehen, ist eitel, eingebildet und eine faule Sau und strengt sich nur an, wenn es um seine Arbeit geht. Matya hatte noch immer nicht gefunden, wonach sie in London gesucht hatte, aber seit ihrem Abend mit Roger hatte sie eine etwas deutlichere Vorstellung davon, was es sein könnte. Es hatte mit Geld zu tun und viel Platz und einer besseren Perspektive. Es hatte damit zu tun, in den frühen Morgenstunden aus dem Fenster eines Taxis zu schauen, in einem Haus mit einem Garten zu wohnen, in dem Rosen blühten, und mit eigenen Kindern. Und es hatte nicht das Geringste mit polnischen Handwerkern zu tun, die noch nicht erwachsen geworden waren.
    Zbigniew hätte das – falls er es gewusst hätte – sehr unfair gefunden. Er war der Meinung, dass er sich sehr verändert hatte; er fand, er sei ein wesentlich reiferer Mensch geworden als der, der er noch vor sechs Monaten gewesen war. Der Tod der alten Frau und diese furchtbare Geschichte mit Davina hatten ihre Spuren hinterlassen, davon war er überzeugt. Außerdem verbrachte er jeden Tag unzählige Stunden damit, sich zu fragen, was er mit dem unerwarteten Geschenk anfangen sollte, das ihm wie durch Zauberhand in den Schoß gefallen war. Zunächst dachte er dann immer über die praktischen Probleme nach – wie er das Bargeld »waschen« sollte, um es in ein Bankkonto einzuzahlen, was er damit anfangen sollte – und dann, allmählich, begann er fast unfreiwillig,sich zu fragen, inwieweit es eigentlich moralisch verwerflich war, wenn er das Geld behielt. In solchen Momenten zählte er sich dann zunächst lauter vernünftige Gründe auf, warum das kein Problem war: Die Leatherbys wussten gar nicht, dass es das Geld gab, es war im Grunde genommen bereits längst verloren und hatte keinen Besitzer mehr; sie brauchten das Geld nicht, denn das Haus allein war ja schon Millionen wert; sein Vater war ein guter Mensch und hatte das, was er ihm mit dem Geld beschaffen würde, verdient. Aber dann ließ die Überzeugungskraft solcher Rationalisierungen plötzlich nach, die ganze Selbstrechtfertigung löste sich in Luft auf, und er musste sich mit Gewalt zwingen, an etwas anderes zu denken. Jeden Tag focht er diesen innerlichen Kampf aus. Matyas Gedanken wären ihm also sehr ungerecht vorgekommen. Und obwohl er sie nicht kannte, konnte er spüren, dass er keinen besonders guten ersten Eindruck hinterlassen hatte. Seine Erfahrung mit Frauen

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