Kapital: Roman (German Edition)
angeschaut, den er noch aus der Schule kannte. Zwar entsprach dessen Lebensstil nicht den Grundsätzen des Islam – er trank Alkohol –, aber er und Usman kannten sich schon so lange, dass für ihn nicht unbedingt die gleichen Regeln galten wie für andere. Außerdem hatte er Sky Sports auf seinem Fernseher. Wie üblich war das Foul, bei dem Freddys Bein zertrümmert wurde, ungefähr zehn Mal gezeigt worden, und jedes Mal wurde einem schlecht, wenn man es wieder sah. Freddy hatte schon immer verletzlich gewirkt; das war einer der Gründe, weshalb er ein so spannender Spieler war, dass er so zart und zerbrechlich aussah, aber sich nie fangen ließ oder verletzt wurde. Jetzt, wo es doch passiert war, sah alles wieder ganz anders aus.
Usman hätte sich gern ein paar Clips von Freddy aus seinen besten Zeiten angeschaut, aber diese Methode, durchs Internet zu surfen, war viel zu langsam dafür. Er hatte natürlich auch nocheinen DSL-Anschluss, aber es gab ein paar Dinge, die er lieber nicht über seinen persönlichen Server erledigte. Usman war bei so etwas schon immer besonders vorsichtig gewesen. Bis vor Kurzem hatte er die unverschlüsselte WLAN-Verbindung eines Nachbarn benutzt, wenn er nicht wollte, dass man ihn beim Surfen zurückverfolgen konnte. Aber der Nachbar – Usman wusste nicht genau, wer, glaubte jedoch, dass es sich um den Typen im Erdgeschoss handelte – war ein wenig schlauer geworden und hatte vor ungefähr drei Monaten seinen Zugang verschlüsselt. Jetzt benutzte Usman daher ein vertragsfreies 3G-Mobiltelefon, das er mit Bargeld gekauft hatte und das man deshalb nicht zurückverfolgen konnte. Das schloss er nun an seinen Laptop an. Er benutzte den Browser, hatte alle Schutzfunktionen eingeschaltet und ließ das Ganze über einen Anonymisierungsservice laufen. Ein etwaiger elektronischer Spion würde unmöglich herausfinden können, wer er war.
Dabei machte Usman im Internet eigentlich gar nichts, was gegen das Gesetz verstieß – jedenfalls nicht im engeren Sinne. Sich Al-Qaida-Trainingsvideos anzuschauen oder herunterzuladen war zum Beispiel eine Straftat. Usman hatte keineswegs vor, so weit zu gehen, selbst in Gedanken nicht. Und was die Frage anging, ob nun die Leute, die das taten, alle falsch lagen; nun, es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er gesagt, dass es zwar bedauerlich war, wenn man keinen anderen Weg fand, um die Aufmerksamkeit auf existierende Missstände zu lenken, aber dass einem eben manchmal nichts anderes übrigblieb als Gewalt. In der Zwischenzeit jedoch, ohne dass er bewusst eine andere Position eingenommen hätte, hatte er sich schon sehr weit von dieser Denkweise entfernt. Zum Großteil waren die Bombenanschläge im Juli 2007 dafür verantwortlich. So etwas von Nahem zu sehen, in seiner eigenen Stadt, hatte ihm vor Augen geführt, dass Gewalt viel zu willkürlich und dumm war, um als Vorgehensweise brauchbar zu sein. Etwas so Schreckliches, Verheerendes und Nutzloses widersprach einfach seiner praktischen Denkweise. Und es war falsch. Im Innersten seines Herzens musste er das zugeben.
Aber manchmal hatte er immer noch Lust, ein wenig von den Gesprächen mitzubekommen. Er wollte immer noch gerne wissen, was die zornentbrannten Muslime so zu sagen hatten. Zwar glaubte er nicht mehr an eine weltweite Verschwörung, deren Ziel es war, den Islam zu vernichten, aber dass in der westlichen Welt die Tatsachen auf fundamental anti-islamische Weise verzerrt wurden, das war Usmans Ansicht nach unbestreitbar. Obwohl man andererseits zugeben musste, dass einem die Lust an dieser Sichtweise leicht vergehen konnte, wenn man einige der Hasstiraden las, die manche Leute auf diesen Websites von sich gaben. Usman hatte selbst ein paar Mal etwas geschrieben, aber es machte ihn jedes Mal furchtbar nervös, und das, obwohl er sich hinter einem Pseudonym versteckte und eine vollkommen anonyme Methode zum Betreten des Internets benutzte. Zu nervös, um damit weiterzumachen. Ein weitverbreitetes Thema, um nicht zu sagen, eine weitverbreitete Obsession auf solchen Seiten war, wie allgegenwärtig die Spione, Provokateure und V-Männer waren. Das entsprach ohne Zweifel der Wahrheit. Es war wirklich beängstigend, etwas zu diesen Foren beizutragen, wenn so viele Leute versuchten, herauszufinden, wer du bist, und dich in Schwierigkeiten zu bringen oder dich so auszutricksen, dass du etwas Falsches sagst oder dich verrätst. Und dann war da noch das Problem, dass die (nach Londoner Maßstäben)
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