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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Sprache miteinander, – und weil es sich unmöglich erkennen ließ, um welche Sprache es sich handelte, schloss Zbigniew, dass es Ungarisch sein musste – der Motor eines Autos war zu hören, von der Lautstärke zu urteilen wahrscheinlich ein SUV, es wurden rasche Befehle erteilt, hastig Mäntel und Spielsachen eingesammelt, und in einer beispiellos kurzen Zeit, weniger als zwei Minuten, höchstens, wurden Matya und die Kinder aus dem Haus gefegt. Wohin, das wusste Zbigniew nicht, und es war ihm auch egal. Es war eine vollkommen idiotische Idee gewesen, diese Arbeit anzunehmen. Mrs Yount würde sicherlich in wenigen Wochen bereits wieder eine andere Farbe haben wollen. Matya war immer den ganzen Tag unterwegs, sie hasste es ganz offensichtlich, sich im Haus aufzuhalten. Als er ging, war sie noch immer nicht zurückgekehrt.
    Am vierten Tag hatte Zbigniew mehr oder weniger aufgegeben. Es war ein total bescheuerter Plan gewesen, und er war ohnehinüberhaupt nicht scharf auf sie. Und eigentlich hatte er den Job überhaupt nur angenommen, weil er dachte, Mrs Yount das schuldig zu sein. Er hatte sich verantwortlich gefühlt, weil es ja schließlich seine eigenen Malerarbeiten waren, die er überstreichen musste. Das war der einzige Grund. Matya, mit der er sowieso nicht reden wollte, war zur Abwechslung mal den ganzen Tag unterwegs. Er hörte, wie sie zusammen mit den Kindern um neun das Haus verließ. Es gab das übliche Drama mit Schuheanziehen und Mäntelfinden und Klobesuchen in letzter Sekunde, und dann waren sie weg. Zbigniew kam mit seiner Arbeit gut voran, war am späten Vormittag mit den Wandleisten fertig, machte sich dann an die letzten kleinen Detailarbeiten und war um fünf mit allem fertig. Das ungarische Kindermädchen, das er ohnehin von Anfang an nicht gemocht hatte, war mit ihren Schutzbefohlenen noch nicht zurückgekehrt. Zbigniew räumte die Zeitungen und Stoffbahnen weg, die er zum Abdecken des Bodens benutzt hatte, schrieb einen Zettel für Mrs Yount, um ihr mitzuteilen, dass er fertig sei und in ein, zwei Tagen wiederkommen werde, um zu schauen, ob auch alles in Ordnung war (und um seinen Scheck abzuholen, aber das schrieb er nicht dazu). Er schleppte seine Farben und Pinsel nach unten und ging dann noch einmal die Treppe hoch, um den Zettel zu holen und die Kaffeetasse, die er benutzt hatte. Währenddessen hörte er, wie sich die Haustür öffnete und eine wahre Herde von Kindern und Kindermädchen in die Wohnung einbrach. Die Kindermädchen gaben Anordnungen, die Kinder protestierten. Als Zbigniew mit seinem Zettel und der Kaffeetasse nach unten kam, geriet er mitten hinein in das Chaos.
    »Aha!«, sagte das zweite Kindermädchen, die ihrem Akzent nach zu urteilen auch aus Ungarn stammte. Sie war kleiner als Matya, hatte kurzgeschnittene, rundgebürstete Haare, die ihr bis zum Kinn reichten, und strahlende Augen, aus denen sie ihm einen koketten Blick zuwarf. »Ein Mann! Vielleicht isst der ja Pizza!«
    »Pizza ist ekelhaft!«, sagte das jüngere der beiden Yount-Kinder, das sich zusammen mit den anderen drei Kindern unter dem Tisch im Esszimmer versteckt hatte.
    »Erst haben sie gesagt, sie wollten Pizza. Und jetzt wollen sie plötzlich keine mehr«, sagte Matya zu Zbigniew. Das war das erste Mal, dass sie ihn direkt angesprochen hatte. Zbigniew legte seine Hausschlüssel und den Zettel für Mrs Yount auf das kleine Tischchen neben dem Telefon, wo die Familie ihre Notizen und Briefe hinterlegte. Dann sah er neben der Lampe, die auf dem Tisch stand, einen Satz Autoschlüssel und Matyas Handy, ein Nokia N60. Er hatte genau das gleiche Modell. Ganz klar, sie waren füreinander bestimmt. Zbigniew hatte eine Idee.
    »Wir wollen gebackene Bohnen«, sagte eine Stimme unter dem Tisch.
    »Vielleicht können Sie uns ja dabei helfen, diese riesige Pizza zu essen?«, fragte Matyas Freundin.
    Er machte erst eine Geste, die höfliche Ablehnung ausdrücken sollte. Aber dann, weil beide Frauen bereits aßen, sagte er: »Vielleicht doch ein Stück.« Und dann stellte er sich vor.
    »Ich dachte, Ihr Name wäre Bogdan«, sagte Matya.
    »Bogdan, der Handwerker. Ein kleiner Witz von Mrs Yount.« Er merkte, dass sie ihn plötzlich in einem anderen Licht zu sehen begann.
    »Mein Name ist Matya«, sagte sie. »Aber die Kinder nennen mich Matty.« Ihre Worte und auch der Ausdruck in ihren Augen hatten einen Unterton, den er sehr anziehend fand – lebhaft und zugleich ein bisschen traurig. Und dann noch dieser Körper.

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