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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Fingern auf derSchreibtischplatte. Dann seufzte sie – ein ehrliches Seufzen – und sagte: »Nun gut. Ich werde tun, was ich kann.«
    »Sie können sich nicht vorstellen, was das für uns bedeutet«, sagte Mrs Kamal und ergriff ihre Hände. Die ganze Familie überschüttete sie mit lauten Dankesbezeugungen und Worten der Anerkennung.
    Dann unterhielten sie sich noch zwanzig Minuten darüber, was ihr nächster Schritt sein würde. Die Anwältin versprach ihnen, bei der Polizei vorstellig zu werden und die Möglichkeit einer Pressekonferenz auszuloten – genau das, was die Kamals die ganze Zeit gewollt hatten. Die Familie verließ den Raum in einer freudigen Stimmung, außer Usman, der immer noch furchtbar wütend zu sein schien.
    Im Auto auf dem Nachhauseweg – es hatte eine ausführliche Diskussion darüber gegeben, wie man am besten zu dem Termin fahren sollte, wobei der Wunsch, die Kosten für das City-Mautsystem zu vermeiden, der vollkommen undenkbaren Möglichkeit gegenüberstand, Mrs Kamal könne sich dazu herablassen, U-Bahn zu fahren – sagte Rohinka: »Diese Rechtsanwältin ist ja ganz schön eingebildet.«
    Und Mrs Kamal sagte: »Ich mag sie.«

77
    Ärzte und Anwälte, Anwälte und Ärzte und die Männer von der Versicherungsgesellschaft. Daraus bestand jetzt Patricks und Freddys Leben – und auch das von Mickey, weil er zu jedem Termin mitkam. Die Termine bei den Ärzten – Ärzte im Plural, weil sie mehrere verschiedene Spezialisten konsultierten – fanden in den Arztpraxen in der Harley Street statt. Um mit den Anwälten zu sprechen, mussten sie drei verschiedene Kanzleien aufsuchen. Die Anwälte des Clubs saßen in einem Hochhaus in der Londoner Innenstadt mit Aussicht auf andere umliegende Hochhäuser und einer sehr modernen Einrichtung: Stahl und Glas und irgendein raffiniert gefärbtes Plastikmaterial. Die Anwälte der Versicherungsgesellschaft hatten ihre Kanzlei in Mayfair, in einem Gebäude im Regency-Stil, das ebenfalls sehr modern eingerichtet war, mit Ausnahme des großen Konferenzraums, wo sich die beiden Parteien immer gegenübersaßen: Freddy, Patrick, Mickey und ein oder zwei ihrer eigenen Anwälte auf der einen Seite, die Gegenpartei auf der anderen Seite des ovalen Tisches aus Eichenholz, der so glänzend poliert war, dass man von dem grellen, sich darin spiegelnden Licht der Halogenstrahler geblendet wurde. Freddys Anwälte wiederum hatten ihr Büro in Reading. Mickey hatte kurz für die Kanzlei gearbeitet und schenkte ihr nach wie vor sein Vertrauen. Die Fahrt aus London heraus zu der Kanzlei in Reading war immer eine Wohltat, auch wenn sie von der Landschaft nur die Felder zu sehen bekamen, die sich rechts und links entlang der M4 erstreckten.
    Der ganze Prozess war eine einzige Tortur. Anfangs war das noch nicht so gewesen, da hatten sie sich den schweren Zeiten noch mit einem kräftigen Schuss Optimismus entgegengestellt. Nach dem ersten Treffen mit der Versicherungsgesellschaft hattesich Mickey zu Patrick und Freddy umgedreht und gesagt: »Nun, das ist doch richtig gut gelaufen!« Er hätte es besser wissen müssen, dachte er jetzt. Er hätte wissen müssen, dass jeder Fall, an dem so viele Ärzte und Anwälte beteiligt waren, einem Kadaver glich, um den sich alle wie die Aasgeier drängten, weil sie sich daran weiden wollten. Aber er war auf die vertrauliche Atmosphäre hereingefallen, darauf, dass man so getan hatte, als seien alle Anwesenden guten Willens und als bestünde ihr einziges Interesse darin, dieses bedauerliche Problem zur Zufriedenheit aller zu lösen. Was Freddy zugestoßen war, war tragisch, aber das System war schließlich dazu da, Abhilfe zu schaffen, und es galt eigentlich nur noch, die Details zu klären.
    Was jedoch war Freddy eigentlich zugestoßen? Das war das erste Problem gewesen. Die Ärzte waren sich nicht einig. Arzt Nummer eins, ein orthopädischer Chirurg, war ein sehr streng wirkender Mann Mitte fünfzig, der eine riesige dunkelumrandete Brille trug und seinen Gesprächspartnern immer das Gefühl vermittelte, als säße er gerade über sie zu Gericht. Er hatte die seltsamste Körpersprache, die Mickey je gesehen hatte, denn sie war fast gar nicht vorhanden: Während er sprach oder zuhörte, blieb er vollkommen unbeweglich. Er hatte die erste Operation an Freddy durchgeführt, nachdem dieser sich verletzt hatte, und war daher der Einzige, der Freddys Knie nicht nur von außen, sondern auch von innen gesehen hatte. Er war, so hatte man es ihnen

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