Kapital: Roman (German Edition)
jedenfalls gesagt, der führende Spezialist auf diesem Gebiet der Chirurgie, nicht nur in London oder Großbritannien, sondern in ganz Europa. Es gab vielleicht Ärzte in Amerika, die genauso gut waren wie er, oder womöglich noch besser, aber nur vielleicht. Er war sozusagen Mr Vorderes Kreuzband. Und sein Urteil lautete, dass Freddy nie wieder Fußball spielen würde; nie wieder laufen oder einen Ball zielsicher schießen würde. Worauf er allerhöchstens noch hoffen konnte, war mit etwas Glück irgendwann wieder ohne erkennbares Hinken gehen zu können.
Der zweite Arzt, den sie auf Drängen der Versicherungsgesellschaftkonsultiert hatten, war sehr viel netter. Er war jünger und ungezwungener, sah gut aus, war selbstbewusst und kaum älter als vierzig. Ihr Treffen mit ihm fand an einem warmen Sommertag statt, und er trug weder Jackett noch Krawatte. Als sie sein Büro betraten, hörte er gerade eine Bob-Dylan-CD, die er aber sogleich mit einer Fernbedienung ausschaltete. Er gab sich Mühe, Freddy jede Angst zu nehmen, lächelte viel und sagte, wie leid ihm seine Situation tue. Sogar seine Hände, mit denen er sehr vorsichtig Freddys Knie untersuchte und es hin und her bewegte, fühlten sich sanft und freundlich an. Er sagte ihnen, er habe sich die Röntgenbilder genau angesehen und auch die Operationsnotizen seines geschätzten Kollegen – für den er absolute Hochachtung empfinde – und dass Freddy seines Erachtens nach eine fünfzigprozentige Chance habe, wieder professionell Fußball zu spielen. Bei diesen Worten winkte er in Richtung eines Fotos, das hinter ihm an der Wand hing. Darauf war ein Profi-Cricketspieler zu sehen, ein Werfer, der gerade mitten in der Ausholbewegung war, sich einen halben Meter in der Luft befand und im Begriff war, mit seinem ganzen Gewicht – und Freddy fand, dass er ein wenig fett aussah – auf seinem linken Bein zu landen. Der Arzt sagte, er habe eine neue Methode benutzt, um das linke vordere Kreuzband des Cricketspielers zu operieren, das in genau demselben Zustand gewesen sei wie Freddys, nachdem er sich das Bein gebrochen hatte. Dieses Foto, das vor über einem Jahr aufgenommen worden war, zeige nun das Resultat. Der Cricketspieler spielte nach wie vor Cricket und warf schneller als je zuvor. Er sagte nicht gerade, dass der andere Arzt unrecht hatte, aber er ließ sehr deutlich erkennen, dass er fest daran glaubte, selbst recht zu haben.
Also mussten sie mit einem dritten Arzt sprechen, einer, auf den sich die beiden anderen Ärzte geeinigt hatten – eine dritte Meinung, die beide Ärzte als akzeptable Zweitmeinung respektieren würden. Für diese Konsultation mussten sie mit dem Zug nach Manchester fahren. Während der Fahrt spielte Freddy Championship Manager auf seiner Playstation, Mickey brachte jeden in Hörweitezur Weißglut, indem er die ganze Zeit mit seinem iPhone telefonierte, bis der Akku leer war, und Patrick schaute aus dem Fenster und betrachtete dieses Land, über das er so wenig wusste. Die Landschaft sah so leer aus, und die Städte und Dörfer waren so alt, so dicht bevölkert, so geschichtsträchtig und schon so ewig lange bewohnt. Es schien unmöglich, sie wirklich kennenzulernen.
Der dritte Arzt war liebenswürdig und adrett und gab deutlich zu verstehen, dass man ihn seiner Ansicht nach ohnehin als Ersten hätte konsultieren und auch die Operation hätte machen lassen sollen. Er hatte helle Haare und helle Haut und vermittelte den Eindruck, als habe er sich eben erst von oben bis unten abgeschrubbt. Er leuchtete geradezu vor Reinlichkeit. Er hörte forsch zu, stellte forsch seine Fragen und untersuchte Freddys Knie mit forschen Gesten, als glaubte er, Freddy würde seine Verletzung nur simulieren. Und nach all dieser Forschheit weigerte er sich, ihnen direkt seine Meinung mitzuteilen, nicht einmal eine vorläufige Beurteilung, nicht einmal eine Andeutung. Er würde darüber nachdenken und ihnen in ein oder zwei Tagen einen Brief schicken.
Als der Brief dann kam, bestätigte er die Meinung des ersten Arztes. Seiner Ansicht nach würde Freddy nie wieder Fußball spielen. Er schrieb, es tue ihm sehr leid.
All das gehörte noch zu der positiven, praktischen Seite der Angelegenheit, als sich die Dinge noch einigermaßen vorwärtsbewegt hatten. Von da an wurde es jedoch immer schlimmer, denn jetzt nahmen die Anwälte und die Versicherungsgesellschaft das Heft in die Hand. Mickey konnte das alles gar nicht fassen. Sicher, wenn man den Wasserhahn in der
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