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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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auch genauso gut ihr Horoskop vor sich haben können – es war unmöglich zu erkennen. Manchmal schalteten sie ein Aufnahmegerät ein, manchmal machten sie sich Notizen. Manchmal hatten sie Kaffeebecher oder Wasserflaschen dabei (immer Volvic, irgendwo musste es einen Automaten geben). Einmal kam einer der älteren Beamten ins Zimmer, während er noch eine Cola light trank. Aber was Shahid am meisten beunruhigte, waren Tage wie heute, an denen die Vernehmungsbeamten mit vollkommen leeren Händen erschienen, keine Akten, keine Getränke, gar nichts. Sie saßen einfach nur da, die Hände im Schoß verschränkt, und stellten ihre Fragen. Dadurch, dass sie gar nicht erst versuchten, seine Antworten aufzunehmen, wirkte es so, als hörten sie ihm überhaupt nicht zu. Seine Antworten zählten nicht. Er wurde gleichzeitig in die Zange genommen und ignoriert. Shahid fand das schwer zu verkraften.
    Die beiden Beamten saßen einfach nur da und starrten ihn an.
    »Ich will einen Anwalt«, sagte Shahid.
    »Sagen Sie uns, woher Sie Iqbal Rashid kennen«, sagte der eine der Beamten.
    »Das habe ich Ihnen schon ungefähr dreihundert Mal gesagt. Ich will einen Anwalt. Ich habe das Recht, einen Anwalt zu sprechen, und ich will ihn jetzt sofort sprechen.«
    »Iqbal Rashid«, sagte der andere Beamte.
    »Ich will einen Anwalt.«
    »Da sind nur ein paar Details, die wir nachprüfen wollen.«
    »Ich will einen Anwalt.«
    »Es war in Tschetschenien, nicht wahr?«
    »Das wissen Sie genauso gut wie ich, denn ich habe es Ihnen schon hundert Mal gesagt, es war auf der Reise dorthin« – und dann erzählte Shahid die Geschichte doch, denn das war leichter,als immer wieder denselben Kampf auszufechten. Sie unterbrachen ihn andauernd, prüften Einzelheiten nach, gingen die Sache immer wieder durch, und sooft er sich wehrte und ihnen zu erkennen gab, wie leid er es war, unablässig dieselbe Geschichte durchzukauen, stellten sie ihre Fragen wieder und wieder, bis er schließlich aufgab und ihnen antwortete. Ein Teil von ihm wusste sehr gut, dass es ihre Absicht war, ihn zu demoralisieren und zu demütigen und ihn so müde und gefügig wie möglich zu machen; aber dieses Wissen half ihm nicht dabei, sich gegen seine Befrager zu wehren. Er wusste, dass er unschuldig, dass sein Gewissen rein war und dass das eigentlich reichen sollte. Es kam ihm so vor, als würde er nun zum tausendsten Mal erzählen, was auf der Reise nach Tschetschenien passiert war und wen er unterwegs getroffen hatte. Und gleichzeitig hatte er das Gefühl, als würde man ihm überhaupt nicht zuhören – als würde alles, was er jetzt und in Zukunft zu sagen hatte, vollkommen ignoriert.
    »… nein, er ist nicht immer in der Moschee gewesen, oder wenn doch, dann ist er mir dort nicht aufgefallen.«
    Ohne anzuzeigen, dass er jetzt einen anderen Gang einlegte oder das Thema wechselte, ohne sich aufrechter hinzusetzen oder den Eindruck zu machen, er schenke ihm jetzt mehr Aufmerksamkeit, sagte einer der Beamten plötzlich:
    »Also wo wollten Sie denn jetzt eigentlich das Semtex auftreiben?«
    Diese Frage überraschte Shahid so sehr, dass es ihm die Sprache verschlug. Sie warteten auf eine Antwort.
    »Was denn für Semtex?«
    »Das Semtex, das Sie dafür benutzen wollten, um den Eurotunnel in die Luft zu sprengen.«

76
    In der Kanzlei Bohwinkel, Strauss und Murphy saß Mrs Kamal auf einem Stuhl mit gerader Rückenlehne, hatte ihre Handtasche auf den Schoß gestellt und den Sari eng um sich gewickelt. Ihre Augen funkelten kampfeslustig. Unabhängig davon, was sie ansonsten über ihre Schwiegermutter dachte, war Rohinka beeindruckt. Ahmed und Usman waren ebenfalls zugegen, aber sie steuerten nur selten etwas zu dem Gespräch bei. Niemand zweifelte daran, dass Mrs Kamal das Kommando übernommen hatte.
    »… und was die Behauptung angeht, dass Shahid auf sein Recht, einen Anwalt zu konsultieren, verzichtet haben soll, ist das ein bewusster, absichtlicher und unverhohlener Versuch, uns für dumm zu verkaufen. Mein Sohn ist nicht gerade erst aus der Wildnis gekommen. Er ist nicht irgendein urdusprechender Eingeborener aus den Stammesgebieten, der noch nie mit Messer und Gabel gegessen hat. Meint die Polizei tatsächlich, dass wir glauben, er hätte sein Recht auf juristischen Beistand einfach so aufgegeben? Es handelt sich hier um einen jungen Mann, dem man in Cambridge einen Studienplatz für Physik angeboten hat. Er ist faul und er hat so einige Probleme, aber er ist kein Idiot, und

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