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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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»Die Spezialisten für weiße Hemden« nannte. Dort gab es ein Angebot, bei dem man drei fantastische weiße Hemden für 400 £ erstehen konnte. Das war ein ziemlich großer Preisvorteil gegenüber dem Normalpreis, der bei 500 £lag. Roger hatte über diesen Preisvorteil bereits mehrfach nachgedacht und ihn sich für schlechte Zeiten aufgehoben. Und hier waren sie nun, die schlechten Zeiten, und Roger erwischte sich dabei, wie er sich durch eine Auswahl von Kragen-, Ärmel-, Knopf- und Manschettendesigns klickte, die sich kaum merklich voneinander unterschieden. Und dann war da noch die Frage eines etwaigen Monogramms, etwas, das er eigentlich vulgär fand, das man aber in diesem Fall mit eleganter Zurückhaltung gestalten konnte, weiß auf weiß. Er fragte sich, ob es tatsächlich stimmte, dass die individuell angefertigten Hemden am Ende perfekt passten, und das nur aufgrund der Angaben, die man zu Körpergröße, Alter, Gewicht und Kragenweite machen musste. Irgendwie war es deprimierend – oder war es womöglich sogar befreiend? –, dass sich die eigene Physis auf diese vier Angaben reduzieren ließ. So einfach konnte man sich selbst zusammenfassen: 41 Jahre, 96 kg, 1,90 m, Kragenweite 17 = Roger Yount.
    In diesen Tagen, als er sich langsam an den Schock zu gewöhnen begann, dass man ihn gefeuert hatte, dass niemand ihn einstellen wollte und dass er auf dem besten Wege war, bankrott zu gehen, war das Internet seine Rettung; oder vielleicht nicht gerade seine Rettung, sondern vielmehr das, was er mit dem Großteil seiner Zeit anfing. Am allerliebsten las er Berichte über die Implosion bei Lehman Brothers – diese unglaublichen Idioten, diese totalen Stümper –, und am zweitliebsten spielte er Online-Poker. Als er noch gearbeitet, die Aufsicht über einen Raum voller Händler geführt hatte und daher für zig Millionen Pfund an Wetten verantwortlich gewesen war, hatte ihn diese Art von Zeitvertreib nicht im Geringsten gereizt. Jetzt aber kam es ihm so vor, als bräuchte der Zocker in ihm ein neues Ventil und hätte es in diesem Spiel gefunden. Er hatte 1000 £ von seinem Kreditkartenkonto auf das Poker-Stars-Konto überwiesen und bereits einen Gewinn von 500 £ gemacht. Er gab sich ganz locker und aggressiv und spielte gegen eine Menge von schwachen Amateuren, die ihr Geld panisch zusammenhielten. Es machte großen Spaß.
    Aber dann, fünf Tage nach seinem Gespräch mit Percy, riss Roger sich zusammen. Er ging im Park spazieren, trank einen doppelten Espresso, öffnete sein Spreadsheet und ging die Zahlen noch einmal durch. Dann rief er Arabella auf dem Haustelefon an und bat sie, in sein Büro zu kommen. Wie sie beide wussten, bedeutete dies unweigerlich, dass ein Gespräch über Geld auf dem Programm stand. Der Raum eignete sich bestens für dieses Vorhaben, weil er über zwei Ledersessel und einen Zigarrenhumidor verfügte (auch wenn Letzterer eher symbolischen Charakter hatte). Außerdem hing noch ein wertvoller alter Druck an der Wand: ein Akt, in dem eine Pariser Hure auf einem Stuhl kniete, dem Betrachter den Rücken zukehrte und ihren verführerisch breiten und weißen Hintern darbot. Nachdem seine Frau den Raum betreten hatte, reichte Roger ihr wortlos ein Blatt Papier mit einer Liste, auf der alle Ausgaben standen, über die sie bisher frei hatte verfügen können, von Schuhen über Botox bis hin zu den Hausbesuchen des persönlichen Pilates-Trainers.
    »Alles, was auf dieser Liste steht, muss gestrichen werden«, sagte Roger. Es war ein befriedigendes Gefühl. Arabella wurde bleich.
    »Wir sind pleite«, sagte sie.
    »Nein. Oder ja. Jedenfalls so gut wie, in mancher Hinsicht.«
    Tief im Innern, in einem düsteren dunklen Teil seines Gehirns, einem Teil, dessen Existenz er sich selbst nur ungern eingestand, fühlte sich dieser Moment großartig an. Absolut fantastisch. Das war die Rache – er konnte nicht unbedingt sagen, warum genau, aber so fühlte es sich auf jeden Fall an – für das, was sie an Weihnachten mit ihm gemacht hatte.
    Und dann fiel Arabella etwas ein.
    »Was ist mit Matya?«, fragte sie. Roger hatte gewusst, dass sie das ansprechen würde, und hatte sich darauf vorbereitet. Seine Gräfin, seine für immer verlorene Gräfin. Es war eine masochistische Entscheidung, aber eine, die Arabella mehr schmerzen würde als ihn.
    »Wir müssen sie entlassen«, sagte Roger. »Die Zahlen sprechen für sich. Matya ist ein Luxus« – ein sinnlicher, seidenweicher, herzerwärmender Luxus, eine

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