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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Folgendes: Sie musste Joshua verlassen. Sie versuchte den ganzen Tag, nicht daran zu denken, undtrotzdem hatte sie es unentwegt im Hinterkopf. Sie spürte, wie sich eine riesige schwarze Grube unter ihr auftat. Wer konnte schon einem dreijährigen Kind widerstehen, das vor Liebe nur so platzte und dessen größtes Glück darin bestand, sich an sie anzukuscheln? Ihre Liebesbeziehung war über das Frühstadium schon weit hinausgegangen – sie waren nicht mehr im Rausch des ersten Kennenlernens, und ihr Herz setzte nicht mehr jedes Mal einen Schlag aus, sobald sie ihn zu Gesicht bekam –, aber sie war mit Joshua glücklicher, als sie es je zuvor mit irgendeinem anderen Menschen gewesen war. Matya wusste sehr wohl, dass das mit ihrer eigenen Kindheit zusammenhing: Durch die Beziehung mit Joshua und die Liebe, die sie ihm schenkte, bekam sie die Gelegenheit, ihre eigenen Eltern wiederzuentdecken. Es war ganz so, als würde ihr dadurch die Liebe ihrer Eltern zurückgegeben, als wären sie gleichsam in ihrer eigenen Seele wiederauferstanden. Aber was machte das schon? Wen kümmerte es, was ihre Gründe waren? Real war nur, wie sich Joshuas Hand in der ihren anfühlte, wenn sie sich nachmittags aufmachten, um Conrad von der Vorschule abzuholen. Oder die gelassene, bedächtige Art, mit der er zu ihr aufschaute und »Ich hab dich lieb, Matty« sagte. Diese Worte, von ihm gesprochen, trafen sie mit größerer Wucht, als sie es je aus dem Mund eines erwachsenen Mannes getan hatten.
    Das war es, was ihr aufs Schmerzlichste bewusst wurde, als sie abends um halb sieben in ihre eigene Wohnung zurückkam. Anders als sonst riegelte sie die Tür hinter sich zu. Sie setzte sich auf das kleine, etwas seltsame Ledersofa – Arabella hatte es ihr geschenkt, nachdem sie es ursprünglich für ihr Ankleidezimmer gekauft hatte, es dann aber sehr schnell leid geworden war –, vergrub den Kopf in den Händen und weinte. Nicht wegen des Jobs oder wegen der anderen Veränderungen in ihrem Leben, sondern wegen Joshua, den sie so furchtbar, so unerträglich vermissen würde.

90
    Es gab ein schepperndes, mittlerweile wohlbekanntes Geräusch, und Shahids Frühstück wurde durch die Klappe in seiner Zellentür geschoben. Er hatte seit der Verrichtung des Gebets zum Morgengrauen auf dem Boden gesessen und seine Gedanken schweifen lassen. Zwar verfügte er mittlerweile über eine Armbanduhr, aber hier in der Zelle fand für ihn das »Morgengrauen« immer dann statt, wenn er aufwachte. Das geschah für gewöhnlich gegen sechs Uhr. Um sieben kam dann das Frühstück. Es gab also eine angemessene Zeit dazwischen, in der er einfach nur dasitzen und nachdenken konnte.
    Shahid dachte an Iqbal und wie dumm er selbst gewesen war, ihn in seine Wohnung zu lassen. Er fragte sich, wo Iqbal wohl sein mochte. Und er hoffte, dass ihm die Polizei, wenn sie ihn fand, so richtig die Seele aus dem Leib prügeln würde.
    Er dachte daran, was er mit der Person machen würde, die für W IR W OLLEN W AS I HR H ABT verantwortlich war.
    Er dachte über seine Zelle nach, und darüber, dass er noch nie zuvor in seinem Leben einen Raum so gut gekannt hatte wie diesen. Er fragte sich, ob es in Zukunft eine Zeit geben würde, in der nicht mehr jedes einzelne Detail zutiefst in sein Gedächtnis eingegraben sein würde: Der Riss in der Decke, den es in einer der Ecken gab, oder die kleinen, faserigen Spuren an der Wand, die sich nach unten verbreiterten und die deshalb wie die kartographische Darstellung eines Flussdeltas aussahen. Die feuchte Stelle links neben dem Waschbecken, die sich manchmal ganz kalt und nass anfühlte. Die Rohre und die lärmenden, klirrenden Geräusche, die sie machten und die manchmal fast rhythmisch wirkten, wie eine Synkope – Klirr BUMS, Klirr Klirr BUMS.
    Er dachte über die Rechtsanwältin nach – Mrs Prinzipientreu,wie er sie in Gedanken nannte. Sie hatte diese aufrechte, strenge, zugeknöpfte und schroffe britische Art, die es einem geradezu unmöglich machte, nicht sofort irgendwelche Vermutungen über ihr Sexualleben anzustellen. Es würde dabei definitiv ein wenig schräg und pervers abgehen. Vielleicht versohlte sie ja ihrem Partner den Hintern. Oder sie kleidete sich ganz in Leder, schwang eine Peitsche und ließ die Männer über die Erde kriechen und »Ja, Herrin« rufen.
    Shahid dachte an sein eigenes Liebesleben und ob er je wieder eines haben würde. Er hatte noch nie so wenig Lust auf Sex gehabt wie jetzt. Vielleicht stimmte ja, was man

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