Kapital: Roman (German Edition)
schließlich an dich gewandt.«
»Die Erfahrung lehrt, dass es manchmal besser ist zu warten, bis der Markt auf dich zukommt. Ich weiß, dass du ein geborener Händler bist, Roger« – das wusste er keineswegs, nicht zuletzt deshalb nicht, weil es nicht im Geringsten der Wahrheit entsprach –, »und ich weiß, dass du zu der draufgängerischen, durchsetzungsfähigenSorte gehörst. Du bestimmst gern selbst, wo’s langgeht. Schaffst dir deine eigene Realität. Das ist deine Stärke, eine wirklich großartige Stärke. Ehrlich. Jedenfalls in normalen Zeiten. Aber – tja, im Augenblick gibt es ziemlich viele Wenn und Aber da draußen. Nicht nur bei Pinker Lloyd, sondern im gesamten Finanzsektor. Die Sache mit Lehmans war ein furchtbarer Schock. Da draußen ist die Hölle los. Alle fragen sich, wer als Nächstes dran ist. Sie fragen sich, was für eine entsetzliche Katastrophe wohl gleich aus dem Schrank springt und ›Buh!‹ ruft. Und in so einem Klima ist den Leuten nicht gerade danach, jemanden einzustellen. Niemand stellt gerade jemand Neues ein. Verstehst du, was ich damit sagen will? Das sind echt schlechte Zeiten, um sich auf die Suche nach Arbeit zu machen – du willst ja auch keinen verzweifelten Eindruck machen. Das wirkt sehr abschreckend. Ich sage meinen Kunden immer: Das ist genau wie beim Sex. Je verzweifelter du rüberkommst, desto eher musst du dafür bezahlen! Kapierst du? In deiner Situation ist das Beste, was du tun kannst, gar nichts zu tun. Jedenfalls nicht gerade jetzt. Warte, bis sich die Wogen ein wenig geglättet haben. Bis sich der Staub gelegt hat. Ich sage meinen Kunden: Irgendwann legt sich der Staub immer – obwohl es manchmal länger dauern kann, als man erwartet hätte. Das ist das Beste für alle Beteiligten, findest du nicht?«
»Ich hatte geglaubt, in diesem Fall –«, brachte Roger heraus.
»Aber das ist es ja gerade, Roger«, sagte Percy. »Das hier ist genau ein solcher Fall. Es ist immer eine Frage von Timing. Um es mal auf den Punkt zu bringen – und das sage ich sowohl als Profi, der sich da draußen bestens auskennt, als auch als dein alter Schulkumpel – es wäre das Beste, wenn du eine Weile abtauchst. Glaub mir.«
Und das war das. Percy hatte ihn nicht einfach nur abblitzen lassen, nein, er hatte ihn gewaltsam an Gürtel und Kragen gepackt und mit Karacho und dem Kopf voraus an die Wand geschmettert. Und die Sache wurde dadurch noch viel, viel schlimmer, dass Percy – auch wenn er ein widerliches, jämmerliches, der Bezeichnung »Mensch« eigentlich gar nicht würdiges Ekel war, niedrigund gemein, ein Wurm, der auf der alleruntersten Stufe der Evolution stand und der dabei noch so unendlich gierig war, dass er alle anderen Headhunter im Sektor weit übertraf –, dass also Percy sich auf seinem Gebiet wirklich auskannte. Wenn er sagte, dass niemand Roger auch nur mit der Saugschlauchdüse eines Kläranlagenfaulbehälters anfassen würde, dann hieß das konkret, dass tatsächlich niemand bereit war, Roger auch nur mit der Saugschlauchdüse eines Kläranlagenfaulbehälters anzufassen. Bei einer solchen Frage irrte er sich garantiert nicht.
Das hieß, dass Roger sehr schlecht beraten wäre, seinen Lebenslauf loszuschicken und sich um Jobs zu bewerben. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als ihre Ausgaben drastisch zu kürzen und zu versuchen, mit dem Geld, das sich im Augenblick auf ihrem Sparkonto befand, so lange wie möglich auszukommen. Es handelte sich dabei um ungefähr 30000 £, aber Roger wusste – zu seinem Entsetzen, doch das änderte nichts an den Tatsachen –, dass sie bei dem, was sie im Moment ausgaben, gerade mal zwei Monate mit dieser Summe auskommen würden. Dann würden sie gezwungen sein, seine Rücklagen anzugreifen, die verschiedenen Vermögenswerte, die er über die Jahre hinweg in steuerfreien Investitionen angelegt hatte, und schließlich auch seinen Rentenfonds. Im Finanzsektor gab es einen Begriff für so etwas. Man nannte es »komplett am Arsch sein«.
Sie mussten dringend ihre Ausgaben einschränken, massiv, und zwar jetzt sofort. Heute noch! Jetzt sofort hieß heute, hieß noch in dieser Stunde. Am besten noch in dieser Minute. Erst ein Showdown mit Arabella und dann ein großangelegtes Ausgabenembargo. Roger musste jedoch feststellen, dass er überhaupt keine Lust dazu hatte, dass er es einfach nicht über sich brachte. Was er viel lieber tun wollte, war, wie ihm gerade klar wurde, sich in eine Webseite einzuloggen, die sich
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