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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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sie ihn darauf ansprach, sagte er forsch, dass alles in Ordnung sei; und genauso forsch hatte er reagiert, als sie ihn einmal gefragt hatte, wann er denn anfangen wolle, nach einem neuen Job zu suchen. Er war mehr als forsch gewesen; er hatte gesagt: »Ich habe immer noch ein paar Ersparnisse übrig, aber wenn du das Gefühl hast, dass ich nicht genug beitrage, dann kann ich jederzeit ausziehen.« Das hieß so viel wie: Stell mir diese Frage bloß nicht noch einmal. Also schwieg sie. Aber glücklich war sie dabei nicht. Der manische Parker kümmerte sich um seine Angelegenheiten, heckte ganz offensichtlich etwas aus, schmiedete seine Pläne, braute irgendetwas zusammen. Manchmal sah es ganz so aus, als kicherte er vor lauter Entzücken gehässig in sich hinein, aus einem nur ihm allein bekannten und vollkommen geheimen Grund. Einoder zweimal ging ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie den Sprachlos-vor-Kummer-Parker dieser Version dann doch vorgezogen hatte.
    Und wie als Antwort auf diesen Gedanken, fast so, als wolle er sie dafür bestrafen, kam eine weitere Version von Parker zum Vorschein. Und diese Version war es, mit der Daisy auch im Augenblick noch zusammenlebte. Es war die Version, zu der Daisy eine Ja-oder-Nein-Liste verfasst hatte, während sie sich Joni Mitchells Blue auf ihrem iPod anhörte. Aber diese Version war nicht über Nacht aufgetaucht. Der manische Parker hatte sich zunächst nur für ein paar Augenblicke, dann für Stunden und schließlich ganze Tage lang in das verwandelt, was er jetzt war: der Dostojewski-Parker. Die ersten Vorboten dieser Version kamen in Form von Nägelkauen, Zerstreutheit und einer irgendwie zwielichtigen Gedankenverlorenheit, die immer dann auftrat, wenn er eigentlich etwas ganz anderes hätte tun sollen. Zum Beispiel, wenn er Daisy seine Aufmerksamkeit hätte widmen sollen. Früher hatte das zu seinen Stärken gezählt. Seit ein paar Monaten hatte er das jedoch entweder komplett vergessen oder sein Interesse daran verloren. Es konnte passieren, dass sie in die Küche kam, wo er eigentlich das Abendessen hätte kochen sollen, nur um festzustellen, dass er einfach dastand und an seiner Unterlippe kaute, während das Gemüse, das er in der Pfanne hätte umrühren müssen, vollkommen verkohlt war. Zu der neuen Körpersprache des Dostojewski-Parkers gehörte es, am Tisch zu sitzen und den Kopf in den Händen zu vergraben. Statt morgens früh aufzuwachen, schlief der Dostojewski-Parker sehr schlecht; er hatte Schwierigkeiten, einzuschlafen (Daisy wusste, dass das ein Zeichen von Angst und Beklemmung war), oder er wachte in den frühen Morgenstunden auf und konnte nicht wieder einschlafen (das kannte Daisy als ein Zeichen von Depressionen), und während der seltenen Momente dazwischen, in denen er tatsächlich schlief, warf er sich hin und her wie ein Derwisch beim Breakdancing. Der Dostojewski-Parker sah sogar anders aus als der normale Parker: Er war schwerer und bleicher und viel erdgebundener. Er sah aus, als ernährte er sich ausschließlich von Kohlenhydraten und bösen Gefühlen.
    Was war geschehen? Daisy hatte keine Ahnung. Einer der großen Unterschiede zwischen dem Sprachlos-vor-Kummer-Parker und dem Dostojewski-Parker war, dass diese dritte Version aus keinem bestimmten Grund zu trauern, sondern eher unter einem allgemeinen, alles verzehrenden Gefühl der Schwermut zu leiden schien und auch, falls Daisy sich nicht irrte, der Schuld. Er grämtesich nicht wegen etwas, das man ihm angetan, sondern wegen etwas, das er selbst auf dem Gewissen hatte.
    »Ich wünschte, du würdest mir sagen, was los ist, Schatz«, sagte Daisy eines Abends im November zu ihm. Sie war todmüde von der Arbeit nach Hause gekommen und hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass ihr Freund, mit dem sie schon so lange zusammen war, etwas zu essen kochte, ihr vielleicht den Rücken massierte und dann mit ihr zusammen irgendeinen Müll in der Glotze schaute. Stattdessen saß sie nun hier, vor einem Essen, das sie sich selbst in der Mikrowelle hatte zubereiten müssen, und war auch noch gezwungen, eine Art unbezahlte psychiatrische Krankenschwester zu spielen. Sie wollte schreien, aber das nutzte bei Parker nichts, er würde sich einfach nur noch weiter in sich selbst zurückziehen. Also versuchte sie ihr Bestes, um ihn behutsam aus der Reserve zu locken. Aber sie wusste auch, dass sie diese Situation nicht mehr sehr viel länger ertragen konnte. Ihr fiel nichts mehr ein, was sie noch unter

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