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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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über alles liebte, sondern dafür, dass er es nie wieder tat. Das brachte den Jungen in eine ganz furchtbare Lage, und Mickey war davon überzeugt, dass Patrick seinen Sohn nicht davor gewarnt hatte, worauf das hier hinauslaufen könnte. Die Nachricht selbst würde schon schwer genug zu ertragen sein, es gab keinen Grund, ihn schon im Voraus zu quälen.
    »Ich nehme mal an, Sie wissen sehr wohl, dass die medizinischen Fakten sehr viel komplexer sind, als Sie uns das hier weismachenwollen«, sagte der Mann von der Versicherung. »Die Meinungen der Experten über den Zustand von Mr Kamos Knie sind durchaus nicht einhellig. Wie Sie ja wohl wissen, enthalten solche Abfindungszahlungen oft gewisse Klauseln, was die nachfolgende Karriere des Spielers anbetrifft. Und es wäre grausam und leichtsinnig, wenn man solche Bedingungen einem Mann auferlegen würde, der so jung und talentiert ist wie Mr Kamo, ohne sicher zu sein, dass diese Einschränkungen auch ihre Berechtigung haben.« Mit anderen Worten, der Mann hatte genau erraten, woran Mickey gerade gedacht hatte. Er war ein Riesenarschloch, aber er war keineswegs dumm.
    Mickey hörte nicht mehr zu. Heute würde ohnehin keine Entscheidung fallen. Eigentlich warteten sie alle nur darauf, dass die Besprechung endlich vorbei war. Das Wetter draußen war grau und feucht, aber nicht kalt – einer dieser typischen englischen Pseudo-Herbsttage. Mickey liebte den Fußball, und der Fußball war auch immer gut zu ihm gewesen, aber je älter er wurde, desto öfter gab es Momente, in denen ihm die Grausamkeit dieses Spiels vor Augen geführt wurde und er begriff, wie sehr doch alles nur vom Glück abhängig war. Die Karrieren der Spieler waren so furchtbar kurz, und dann kam das lange Leben danach, in dem die Helden ihren eigenen Ruhm weit hinter sich ließen; oder es geschah ein einziger schlimmer Unfall, und alles war vorbei. So wie es Freddy passiert war. Er war sich nicht sicher, wie viel er davon noch ertragen konnte. Vielleicht bot die Immobilienbranche ja doch eine erstrebenswertere berufliche Laufbahn.

94
    Der Regen trommelte gegen das Fenster der Zweizimmerwohnung in Hackney, die sich Parker French mit Daisy teilte, seiner perfekten Freundin Daisy. Die Wohnung, die er sich zumindest bis jetzt mit ihr geteilt hatte. Parker wusste es zwar noch nicht, aber er stand kurz davor, abserviert zu werden. Und der Grund, warum er das noch nicht wusste, war gleichzeitig auch der Grund, warum er im Begriff stand, abserviert zu werden: weil er besessen war, blind für seine Umgebung, der Welt abhanden gekommen, verschlossen, rücksichtslos, taub. Daisy wusste einfach nicht mehr, wie sie noch zu ihm durchdringen sollte. Sie saß auf ihrem Sofa, hörte Musik, trank eine Tasse Tee und verfasste eine Liste mit zwei Spalten. Ja und Nein. Schluss machen oder nicht. In der Ja-Spalte stand ein negativer Punkt nach dem anderen, wie zum Beispiel »sagt nichts«, »ist abwesend«, »deprimiert« und »weggetreten«. In der Nein-Spalte stand nur ein einziger Satz: »Früher war er einfach wunderbar.«
    Jedes Mal wenn Daisy über die Abfolge der Ereignisse nachdachte – und das tat sie sehr oft, vor allem, weil sie immer wieder sichergehen wollte, dass sie sich das Ganze nicht etwa nur einbildete –, kam sie zu dem Schluss, dass es drei Phasen gegeben hatte. Zu diesen Phasen gehörte der normale Parker schon gar nicht mehr dazu, der Junge, mit dem sie seit dem Tag zusammen gewesen war, als sie sich in der Oberstufe an einem heißen Juninachmittag bei einer Tanzveranstaltung der Schule geküsst hatten. Der normale Parker, das war das eigentliche, wahre Selbst ihres Freundes, lieb und jungenhaft, jemand, der gar nicht mitbekam, wie sehr man sich um ihn kümmern musste, dessen Selbstbewusstsein wesentlich zerbrechlicher war, als er sich das eingestand, und der fest entschlossen war, der Welt seinen Stempel aufzudrücken,ohne noch recht zu wissen, wie oder wann. Er war ihr Freund, aber manchmal auch ein bisschen so etwas wie ein kleiner Bruder; was keineswegs eine Beschwerde sein sollte, das mochte sie ja gerade an ihm. Dazu gehörte auch sein Aussehen, so schmal und dunkel, und auch die Tatsache, dass er genau gleich groß war wie sie. Sie wusste, dass Parker es mit seinem Wunsch ganz ernst meinte, fortzukommen – aus Norfolk herauszukommen, der Welt ihrer beider Kindheit. Davon war sie immer fest überzeugt gewesen.
    Und was Parkers künstlerische Ambitionen anbelangte, nun ja … das Wichtigste

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