Kapital: Roman (German Edition)
war schön gewesen an diesem Tag, die Sonne ging erst gegen fünf Uhr unter, und Alan nutze das ausgiebig. Er kam erst vom Golfplatz zurück, als es schon dunkel geworden war. Er fand Mary ohne Licht im Wohnzimmer sitzend vor; es war so dunkel, dass er sich fürchterlich erschreckte, als er sie bemerkte.
»Du liebe Güte«, sagte er. »Was ist passiert?«
»War es ein gutes Spiel?«, fragte Mary.
»Nicht schlecht. Bin nachher noch ein bisschen hängengeblieben, er hat wieder stundenlang über die Familie seiner Frau geschwafelt. Es ist echt erstaunlich, wie oft er es schafft, sich Wort für Wort zu wiederholen. Und dann glaubt er allen Ernstes, das würde seinen Zuhörern nichts ausmachen. Aber wechsle jetzt nicht einfach das Thema. Was ist passiert?«
»Setz dich«, sagte Mary. Dann öffnete sie den Koffer.
»Grundgütiger Himmel«, sagte Alan.
»Eine halbe Million«, sagte Mary. »Mein Vater. Der Koffer war in einem Geheimfach. Der Pole hat ihn gefunden.«
»Aber –«, sagte Alan. Dann verstummte er. Mary fand es lustig zu sehen, dass er ausnahmsweise mal keine Worte fand.
»Ich weiß«, sagte sie. »Es sind alte Zehner. Wertlos. Er hat das Geld so lange gehortet, dass es jetzt nur noch Altpapier ist.«
»Nicht ganz«, sagte Alan, der sich langsam von dem Schock zu erholen begann. Er ging hinüber zu dem Tischchen, wo sie ihre Spirituosen stehen hatten, und goss sich ein riesiges Glas Whiskey ein, von dem er die Hälfte in einem Zug austrank. »Himmelherrgott. Du hast mir einen ziemlichen Schreck eingejagt. Ich glaube nicht, dass ich je zuvor so viel Bargeld gesehen habe. Aber egal, du hast sicher zum Teil recht. Man kann dieses Geld nicht einfach nehmen und irgendwo ausgeben. Diese Zehnpfundnote wurde in den frühen Neunzigern aus dem Verkehr gezogen und ist kein gesetzliches Zahlungsmittel mehr. Aber die Bank von England muss das Geld trotzdem annehmen.«
»Dann bringen wir es also zur Bank von England. Ich sehe es schon so richtig vor mir, du nicht auch?« Mary würde ein kleines Hütchen aufsetzen und vielleicht auch noch einen Pelzmantel anziehen, die Tasche auf den Tresen des Bankschalters stellen, sie öffnen und zuschauen, wie ihnen allen der Mund aufklappte.
Alan trank seinen Whiskey aus und goss sich nach.
»Es sieht so aus. Du kannst es nicht selbst benutzen, aber wenn die Bank es erst einmal in Umlauf gesetzt hat, bleibt es gültig, für immer und ewig. Das Problem ist aber meistens, dass sie wissenwollen, wo man es herhat, sobald es sich um eine ziemlich große Summe handelt. Sie werden eine Menge Fragen stellen, dir Einkommensteuer und Erbschaftssteuer aufbrummen und das Ganze, und falls du nicht beweisen kannst, dass du auf legalem Wege drangekommen bist, dann stellen sie Ermittlungen gegen dich an, und dann kann es dir passieren, dass sie nicht nur Steuern berechnen, sondern auch noch ein Bußgeld. Und das Bußgeld kann bis zu hundert Prozent der gesamten Summe betragen. Und dann sind da noch die Anwaltskosten und die Rechnung des Steuerberaters, und meistens kommt dann am Ende so gut wie gar nichts mehr dabei heraus.«
»Also ist es doch nur Altpapier, mehr oder weniger«, sagte Mary.
»Bis auf vielleicht so an die Hunderttausend.« Alan trank sein zweites Glas Whiskey aus und fing an, sich ein drittes einzugießen. Dann besann er sich jedoch eines Besseren, kam zu Mary und umarmte sie so fest, dass ihre Rippen knackten.
»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte er.
»Ich bin nur froh, dass meine Mutter nie Wind davon bekommen hat«, sagte Mary. »Sie hätte ihn umgebracht.«
100
In der Pepys Road Nummer 27 versuchten Patrick und Freddy Kamo, die Zeit totzuschlagen. Sie warteten darauf, dass Mickey Lipton-Miller anrief oder vorbeischaute, um ihnen von dem angeblich letzten und entscheidenden Treffen mit der Versicherungsgesellschaft zu berichten. Heute sollte die Entscheidung fallen und das endgültige Angebot verkündet werden. Die Höhe der Abfindung. Die Besprechung hatte am späten Nachmittag des Vortages angefangen, und Mickey hatte ihnen gesagt, er würde entweder vor neun Uhr abends noch bei ihnen anrufen oder gleich am nächsten Morgen. Vater und Sohn waren beide sehr früh aufgewacht, in der Erwartung, von Mickey zu hören, und wussten nun nicht, was sie mit sich anfangen sollten. Freddy hatte zunächst versucht, ein wenig Halo 2 zu spielen, aber schnell wieder die Lust daran verloren und nun eine CD von Fela Kuti aufgelegt. Er saß am Tisch, zappelte mit den Beinen und
Weitere Kostenlose Bücher