Kapital: Roman (German Edition)
auch nicken. Also nickte er zurück und ging zur Tür. Es lag ein kleiner Stapel Post auf der Erde, den er beim Hinausgehen aufhob. Eine Stromrechnung und eine Karte, auf der stand » W IR W OLLEN W AS I HR H ABT .« Mickey hatte einen plötzlichen Anfall von Scheidungsparanoia – Dinah hatte vor, ihn so richtig fertigzumachen! –, aber dann wurde ihm klar, dass es etwas mit der Pepys Road 27 zu tun haben musste, denn die Vorderseite der Karte zeigte ein Foto der Haustür. Das war bestimmt wieder eine dieser Zeitungen, die das Haus überwachen ließen, dachte Mickey. Vielleicht hatte es ja etwas mit diesem afrikanischen Jungen zu tun. Es gab Gerüchte, dass man ihn Arsenal weggeschnappt hatte oder so was in der Art. Vielleicht waren das ja irgendwelche bekloppten Arsenal-Fans, die dem Jungen drohen oder ihm Angst einjagen wollten. Verdammter Mist! Das Letzte, was er heute gebrauchen konnte, war eine von diesen verzwickten Situationen, bei denen er keine Ahnung hatte, was er tun sollte, dachte Mickey, während sein Handy schon wieder vibrierte.
Aber da irrte er sich. Wie sich herausstellte, war etwas ganz anderes das Letzte, was er heute gebrauchen konnte. Als er auf die Straße hinaustrat, musste er feststellen, dass man seinem Auto einen Strafzettel und eine Parkkralle verpasst hatte.
10
Zwei Wochen vor Weihnachten saß Petunia in ihrer Arztpraxis und wartete darauf, dass auf dem elektronischen Monitor, der hinter ihr an der Wand hing, ihr Name angezeigt wurde. Es war Montag, und die Praxis war sogar noch voller als sonst. Auf der dem Monitor gegenüberliegenden Seite war kein Stuhl mehr frei gewesen. Also musste sie sich jedes Mal umdrehen, wenn sie das Piepsen hörte, das anzeigte, wann der nächste Patient ins Behandlungszimmer gerufen wurde. Nur so konnte sie erkennen, ob sie an der Reihe war.
Petunia war nicht gerade glücklich darüber. Sobald ihr Name auf der Anzeige erschien, würde sie aufstehen und zum Behandlungszimmer gehen, und dann würde jeder im Raum wissen, dass sie Mrs Petunia Howe war, ob ihr das nun recht war oder nicht. Und darüber hinaus würde ihr Name dort oben stehen bleiben, bis der nächste ihn ersetzte. Sie war nicht mehr gerade die Jüngste, und um nach hinten zu schauen, musste sie ihren gesamten Oberkörper drehen. Zwar galt das auch für alle anderen, die mit dem Rücken zum Monitor saßen, aber es war ihr trotzdem unangenehm. Einige der Leute neben ihr hatten Kopfhörer auf oder telefonierten mit ihren Handys. Zwei von ihnen saßen sogar direkt unter einem »Bitte schalten Sie Ihr Mobiltelefon aus«-Schild, was so unverschämt war, dass man schon fast darüber lachen konnte. Und dann gab es da noch den Grund, aus dem sie überhaupt hier war – diese komischen Schwindelattacken, ihre »Anfälle«, wie sie es nannte –, von denen sie noch ein paar mehr gehabt hatte, seit sie damals im Laden umgekippt war. Aber Gott sei Dank waren die späteren Attacken zu Hause passiert, das war ein Segen, und auch nie, während sie sich auf der Treppe befand. Auch das war ein Segen. Doch weil sie ungefähr alle zwei Minuten den Kopf verdrehenmusste, fing sie an, sich ein wenig komisch zu fühlen, und das Letzte, was sie wollte, war, hier in der Praxis umzufallen. Und das alles nur, um dem Arzt die zehn Sekunden zu ersparen, die es gebraucht hätte, um aufzustehen, zur Tür zu gehen und den Namen des nächsten Patienten zu rufen. Dabei musste er ja nicht einmal zu den einzelnen Patienten hingehen und sie persönlich ansprechen, denn natürlich konnte man nicht erwarten, dass er jeden von ihnen beim Namen kannte. In der letzten halben Stunde – die halbe Stunde, die seit ihrem eigentlichen Termin vergangen war – waren Miss Linda Wong, Mr Denton Matarato, Miss Shoonua Barkshire, Mr T. Khan und der kleine Cosmo Dent aufgerufen worden, um zu ihren jeweiligen Ärzten zu gehen, aber Petunia saß immer noch da. Sie hatte schon längst das Exemplar der Daily Mail ausgelesen, das neben ihr auf dem Tisch gelegen hatte, und überlegte hin und her, ob es wohl sehr schlechtes Benehmen wäre, wenn sie das Kreuzworträtsel darin ausfüllte. Aber dann kam sie zu dem Schluss, dass sich das wahrscheinlich nicht gehörte.
Petunia war kein Mensch, der andauernd meckerte und sich über das Leben heutzutage beschwerte – Albert hatte das mehr als genug getan, genug für sie beide zusammen –, aber es gab nicht gerade viel, was sie an ihrer Arztpraxis mochte. Da war zunächst einmal die Tatsache, dass es
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