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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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behandelt werden kann, dachte Petunia. Aber in einer Praxis um etwas zu bitten war für sie nicht gerade selbstverständlich, dafür war sie nicht der Typ und auch nicht aus der richtigen Generation. Aber sie musste ihre Bluse gar nicht ausziehen. Dr. Canseca schob das Stethoskop einfach unter den Stoff. Das Metall war eiskalt, aber wenigstens hatte sie noch ihr Oberteil an. Sie atmete ein und aus,und selbst sie konnte hören, dass ihre Atemzüge ein wenig zerfasert und rasselnd klangen. Dann maß der Arzt ihren Blutdruck. Und danach direkt noch einmal. Woraufhin er eine Weile dasaß und seinen Computerbildschirm anstarrte.
    »Sie nehmen nicht regelmäßig Medikamente ein, oder?« Es war eigentlich keine Frage, also antwortete Petunia nicht. Er fing wieder an zu tippen. Währenddessen las Petunia, was auf dem Poster hinter ihm stand. Es enthielt Informationen über Safer Sex. Daneben gab es noch andere Poster, auf denen die verschiedenen Gesundheitsrisiken aufgezählt waren, die das Reisen an entlegene Orte mit sich bringen konnte. Dann drehte sich der Arzt wieder zu Petunia um.
    »Tja, es scheint, als wäre alles in Ordnung bei Ihnen, aber ich schicke Sie noch zu ein paar Tests. Wenn jemand ohnmächtig wird, ist das manchmal ein Zeichen dafür, dass mit der guten alten Pumpe etwas nicht in Ordnung ist. Mit dem Herzen, meine ich. Ihr Blutdruck ist eher niedrig. Das ist gut. Leute mit niedrigem Blutdruck werden uralt! Ich schicke eine Notiz ans Labor, und von dort bekommen Sie dann einen Brief. Sobald Sie den erhalten haben, rufen Sie an und machen einen Termin, und dann wissen wir bald mehr. Okay?«
    Und das war alles. Petunia ging nur sehr ungern zum Arzt, und ihre Beweggründe waren immer die gleichen: Sie ging hin, damit sie sich danach weniger Sorgen machen musste. Ein Arztbesuch war dazu da, die Sorgen zu verscheuchen, denn sie sorgte sich schon genug über andere Dinge, meistens ohne jeden Grund. Aber als sie dieses Mal hergekommen war, nicht weniger besorgt als sonst, war etwas schiefgegangen. Man hatte gegen die grundlegenden Regeln ihres Vertrags verstoßen. Petunia ging durch die Praxis, wobei sie sich schon wieder ein wenig gehemmt fühlte – zu gehemmt, um aufs Klo zu gehen, das dem Wartezimmer gegenüberlag, obwohl es sicherlich eine gute Idee gewesen wäre, ihre Blase zu erleichtern, bevor sie nach draußen in die Kälte ging. Sie hielt den Atem an und trat dann durch die beiden Schiebetürenhindurch in den Dezembernachmittag hinaus. Die Luft war feucht und kalt, und der Verkehr brauste an ihr vorbei. Sie würde ungefähr fünfzehn Minuten für den Nachhauseweg brauchen. Petunia zog ihren Hut tiefer in die Stirn, wickelte den Schal enger um den Hals, überprüfte, ob ihr Mantel auch gut zugeknöpft war, rückte die Handtasche auf ihrer Schulter zurecht, steckte die Hände in die Manteltaschen und ging los.
    Albert hatte ihren vielen Sorgen nicht viel Verständnis entgegengebracht. Das gehörte zu den Dingen, über die er ihr gern Vorträge hielt. Aber die waren keine Hilfe, im Gegenteil, denn alles, was er damit erreichte, war, dass sie sich nicht mehr traute, ihre Sorgen auszusprechen. Also behielt sie alles für sich, was natürlich die Sorgen nur noch größer machte. Das führte dann dazu, dass sie ganz hibbelig wurde, was wiederum Albert fürchterlich auf die Nerven ging. Und seine Vorträge waren ja eigentlich auch scheinheilig gewesen – Albert hatte selbst so viele Ängste gehabt: wegen des Geldes, der Steuern, der Ersparnisse, der Unzuverlässigkeit der Banken und der Versicherungen und der Kreditkartenunternehmen und der Regierung und überhaupt aller anderen, und er hatte immer gesagt, dass man nie vorsichtig genug sein konnte. Er wollte nicht einmal eine Karte für den Bankautomaten haben, weil er Automaten nicht traute und PIN-Nummern auch nicht. Nach seinem Tod musste ihre Tochter Mary ihr beibringen, wie man so eine Karte benutzte. Das gehörte zu den vielen, vielen Dingen, die sie von Grund auf lernen musste, nachdem Albert gestorben war.
    Eine Menge davon hatte mit Geld zu tun gehabt. Wie bei vielen anderen Menschen auch zog sich eine Spur von Wahnsinn durch Alberts Persönlichkeit, wie sich ein Riss durch einen Felsen zieht. Im Allgemeinen war er überhaupt nicht verrückt; aber wenn es um Geld ging, konnte man sich nie darauf verlassen, dass er sich normal verhielt. Bei Geld verlor er jegliche Vernunft. Es hatte eine ungeheure Bedeutung für ihn (manchmal schien es das Einzige zu

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