Kapital: Roman (German Edition)
nach frischer Luft riechen, so wie die Kinder manchmal rochen, wenn sie von draußen hereinkamen, nachdem sie im Park gespielt hatten, und dann, eines Tages, würde er in den Spiegel schauen und einen ganz anderen Menschen sehen. Diese Gedanken waren zwar seine eigenen Gedanken, aber Roger spürte auch, dass sie ihm von der Luft eingegebenwurden, die ihn umgab, dass sie daher kamen, dass er ganz allein neben einem Wäldchen in einem Feld in Norfolk stand und zuschaute, wie sich das Gras wiegte und die Wolken über den Himmel jagten, während ein Kaninchen keinerlei Notiz von ihm nahm.
Das Kaninchen hörte die anderen lange vor ihm. Es hob seinen Kopf, zuckte mit der Nase und verschwand dann mit drei langen Sprüngen im hohen Gras. Dann hörte auch Roger ihre Stimmen den Hügel heraufkommen.
»… sagte er, … er hätte sie … in allen … möglichen Stellungen gefickt … also hab ich … gefragt … in welcher Stellung … ist alles möglich?«
16
Freddy Kamo war im Senegal aufgewachsen, in einer Hütte mit zwei Zimmern am Stadtrand von Linguère. Ab und zu hatten sie Elektrizität in der Hütte gehabt, aber kein fließendes Wasser. Wenn sie Wasser haben wollten, mussten die Kamos mit einem Krug zum Brunnen gehen, der hundert Meter entfernt lag. Der Boden der Hütte bestand aus festgestampfter Erde, und als Lichtquelle diente in beiden Zimmern eine nackte Glühbirne. Die Betten hatten Moskitonetze, die sie von einem Verwandten geschenkt bekommen hatten, aber das war auch der einzige Luxus, über den die Kamos verfügten.
Freddy war der einzige Sohn von Shimé und Patrick Kamo. Sowohl Shimé als auch Patrick gehörten den Wolof an, der größten Stammesgruppe im Senegal. Sie waren gläubige, wenn auch nicht besonders fromme Muslime. Patrick war gut in der Schule gewesen und konnte Französisch lesen und schreiben. Er hatte mit vierzehn geheiratet und zur gleichen Zeit die Schule verlassen, um arbeiten zu gehen, zuerst für seinen Schwiegervater, der Gasflaschen auslieferte, und später, mit achtzehn, bei der Polizei. Als Freddy vier Jahre alt war, nahm sich Patrick eine zweite Frau, Adede, und hatte drei weitere Kinder mit ihr. Dann starb Shimé bei der Geburt ihres zweiten Kindes. Auch das Kind, das zu ihrem zweiten Sohn herangewachsen wäre, überlebte die Geburt nicht. Freddy hatte nichts gegen seine Stiefmutter. Sie war immer gut zu ihm, in dieser Hinsicht konnte man ihr nichts vorwerfen, aber sie ging vollkommen in ihren Töchtern auf, und in den Jahren, die auf Shimés Tod folgten, schloss er sich immer enger an seinen Vater an.
Patrick Kamo hatte zwei ganz unterschiedliche Persönlichkeiten: Während der Arbeit war er streng und unversöhnlich, alsVater aber war er sanft, zärtlich und fast überängstlich. Manchmal war er selbst überrascht, wie sehr er Freddy liebte, aber er bemühte sich nach Kräften, dass das außer dem Jungen selbst keiner mitbekam. Er machte sich häufig Sorgen um seinen Sohn, besonders weil er fand, dass Freddy ein Träumer war, einer, der sich treiben ließ und nichts von der Härte hatte, die man in der Welt brauchte. Er lernte nur sehr langsam und ging nicht gern zur Schule. Alles was er wollte, war Fußballspielen. Zugegebenermaßen war er sehr gut darin, und das von Anfang an, seit er mit ungefähr fünf Jahren damit begonnen hatte. Als er älter wurde, änderten sich die Dinge. Fußball wurde das Einzige, worüber Freddy jemals sprach oder woran er jemals dachte, und es wurde offensichtlich, dass er nicht einfach nur gut spielen konnte. Nein, die Sache lag vollkommen anders. Patrick erkannte, dass Freddy über etwas verfügte, das über Talent noch weit hinausging.
Heute war Freddy siebzehn, und sogar Leute, die sich überhaupt nicht für Fußball interessierten und die nie bei einem ordentlichen Fußballspiel gewesen waren, sogar Leute, die das Spiel nicht einmal mochten, konnten sehen, dass Freddy Kamo etwas ganz Besonderes war, sobald er einen Ball am Fuß hatte. Das lag nicht etwa daran, dass Freddy mit dem Ball einen natürlichen und entspannten Eindruck machte, eher das Gegenteil. Selbst in seinen besten Momenten sah er unbeholfen und tollpatschig aus, als könnte er jeden Moment über seine eigenen Füße fallen. Er machte diesen schlaksigen, klapprigen Anschein, den viele Teenager erwecken, wenn sie gerade in die Höhe geschossen sind und sich noch nicht an die ganz neue Anordnung ihrer Gliedmaßen gewöhnt haben. Er schmiss alles Mögliche um, verschüttete
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