Kapital: Roman (German Edition)
zum zweiten Mal nach England reisten – diesmal nicht nur zu Besuch, sondern um wegen Freddys Karriere dort zu wohnen –, keine Ahnung hatte, wie seinem Sohn zumute war. Vielleicht hatte Freddy panische Angst, so wie er selbst. Oder er war tatsächlich so unbesorgt und fröhlich, wie es den Eindruck machte.
Freddy sah nicht besonders panisch aus. Er hatte sich in dem Schlafsessel breitgemacht, der den Passagieren in der ersten Klasse zur Verfügung stand, und den ganzen Weg von Dakar nach Paris geschlafen. Während des kurzen Flugs von Paris nach London hatte er aus dem Fenster geschaut und über die Wolken gelacht, in denen er alle möglichen Formen und Gestalten entdeckte.
»Die da sieht aus wie Onkel Karma«, sagte er zu seinem Vater über eine der Wolken, die tatsächlich einem kleinen fetten Mann mit einem riesigen Hintern ähnelte.
»Die Farbe stimmt nicht«, sagte Patrick. Freddy lehnte sich zu ihm hinüber und boxte ihn leicht gegen den Oberarm.
Patrick war vor der Passkontrolle ganz starr vor Anspannung gewesen und hatte sich auf einen fürchterlichen Wutausbruch eingestellt. Aber das Einzige, was passierte, war, dass sich die Warteschlange nur sehr langsam vorwärtsbewegte. Die Frau, die ihre Ausweise und Visa prüfte, ließ sie ohne eine einzige Frage durch, genauer gesagt, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben. Jetzt standen sie in der Ankunftshalle.
»Bist du so weit?«, fragte Patrick seinen Sohn, während sie neben dem Kofferkuli standen, auf dem sich ihre Koffer stapelten. Sie hatten beide ihre besten Anzüge an. Patrick hatte sich geweigert, einen Agenten für Freddy einzustellen, aber er hatte sich juristisch und finanziell beraten lassen. Von diesem Tag an zahlte der Club Freddy 20000 £ wöchentlich, mit einer komplizierten Reihe von Gleit- und Optionsklauseln, die in Kraft treten würden, sobald seine Karriere so richtig abhob. Mit anderen Worten: Von diesem Moment an waren sie reich. Aber das war ein Gedanke, an den man sich nur sehr schwer gewöhnen konnte. Patricksorgte sich stattdessen darum, was passieren würde, wenn sie durch die Türen nach draußen traten, und Mickey Lipton-Miller und die anderen wären nicht da, um sie abzuholen. Mickey hatte angeboten, es könne doch jemand nach Dakar kommen und dann mit ihnen zusammen wieder zurückfliegen, aber Patrick war zu stolz gewesen, um das anzunehmen. Es kam ihm einfach übertrieben vor, er war kein Kind, das man an der Hand nehmen musste. Aber das Chaos und Gedränge und die gigantische Gleichgültigkeit, die Heathrow ausstrahlte – das Gefühl, dass jeder dort genau zu wissen schien, was er zu tun hatte und wo er hingehen musste, und dass niemand auch nur einen Gedanken an die Kamos verschwendete – war geradezu erdrückend.
»Ich bin so weit«, sagte Freddy.
» D’accord «, sagte Patrick, »dann lass uns gehen und dieses neue Leben beginnen. Willst du das Ding hier schieben?«
Freddy nickte und griff sich den Kofferkuli. Sie gingen durch die menschenleere Zollabfertigung nach draußen, wo ihnen eine Wand von Gesichtern entgegenschlug. Mit Erleichterung stellte Patrick fest, dass zwei dieser Gesichter Mickey Lipton-Miller und dem Übersetzer des Clubs gehörten.
17
Zbigniew und Piotr lehnten an der Wand ihrer Lieblingsbar, dem Uprising, und schauten den anderen Gästen beim Drängeln, Flirten, Trinken und Herumbrüllen zu. Piotr fuhr schon bald über die Weihnachtsferien nach Hause, also würden sie sich erst im neuen Jahr wiedersehen. Zbigniew blieb in London. Er hatte Bereitschaftsdienst, für den Fall, dass auf einer von Piotrs Baustellen irgendwelche Klempner- oder Elektromontagearbeiten anfielen. Man konnte während der Weihnachtszeit leicht an Arbeit kommen, denn die britischen Bauhandwerker gingen um diese Zeit alle in Urlaub. Deshalb war es Zbigniew auch gelungen, zwei Aufträge an Land zu ziehen: einen in der Pepys Road Nummer 33 und einen in Grove Crescent Nummer 17. Die Eigentümer der Häuser waren auf Mauritius und in Dubai, und er hatte ihnen versprochen, mit seiner Arbeit während der Feiertage fertig zu werden. Seine Auftraggeber übernachteten derweil in teuren Hotels und taten all die Dinge, die Leute eben so taten, wenn sie an kostspielige Orte reisten – mit teuren Getränken am Pool sitzen, teures Essen verspeisen, über teure Ferien plaudern, die sie in Zukunft an anderen Orten verbringen würden, und davon schwärmen, wie schön es doch sei, so viel Geld zu haben.
Zbigniew hatte vor, Anfang Januar
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