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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Er war sich todsicher, dass er in allem und jedem absolut recht hatte. Diese Eigenschaft war weit verbreitet unter den Leuten, die am Finanzmarkt einen Haufen Geld verdient hatten. Weil jedes Handelsgeschäft einen Gewinner und einen Verlierer hatte, fühlten sich diejenigen, die dabei eine Menge Geld verdienten, kontinuierlich bestätigt, immer und immer wieder. Das hinterließ Spuren bei diesen Leuten, die von vornherein nicht gerade schüchtern oder unsicher gewesen waren. Sie glaubten aufrichtig und ernsthaft, dass nur noch Gott toller war als sie. Und es war auch interessant zu sehen, wie die neureichen Leute den alten Geldadel nachahmten. Da war zum Beispiel Eric. Anstatt etwas zu finden, das er selbst gerne tun würde, oder die Hobbys, die er gehabt hatte, bevor er reich wurde, ein wenig aufzupeppen, machte er jetzt genau dasselbe wie alle anderen reichen Leute: Erging auf die Jagd oder kaufte eine Jacht. Er unterstützte sogar karitative Organisationen, nicht etwa aus Menschenfreundlichkeit, keine Spur, sondern weil man das eben tat, wenn man reich war. Er verhielt sich ganz so, als gäbe es ein Buch mit Regeln zum Reichsein. Aber das war Roger egal. Es war schön, aus London rauszukommen, und über kurz oder lang würde Eric die Lust daran verlieren, ihm ins Gesicht zu prahlen, und sich ein anderes Opfer suchen.
    Man sagte immer, das Land in Norfolk sei flach, aber Roger hatte einen ganz anderen Eindruck. Die Hügel waren zwar nicht gerade hoch, aber es gab so einige davon, und ihm war auf der Fahrt hierher ziemlich schlecht geworden. Sie hatten ein umgepflügtes Feld überquert und gingen jetzt am gegenüberliegenden Rand entlang auf ein kleines Wäldchen auf der Kuppe des Hügels zu. Sie waren ungefähr zehn Minuten recht schnell marschiert, während sich ihre Schuhe im weichen Boden festgesaugt hatten, und Roger war, wie er peinlicherweise feststellen musste, ein wenig außer Atem. Aber nicht so schlimm wie Eric, wohlgemerkt. Eric hatte tatsächlich angefangen zu keuchen und sah aus wie ein bleicher schwabbeliger Fleischkloß.
    »… wollte sie gar nicht mal … unbedingt … ficken … um ehrlich … zu sein …«, sagte Eric gerade, »… aber … ich hatte … keine Wahl … mein eigener Schwanz … hatte mich … in Geiselhaft … genommen.«
    Roger begriff eine halbe Sekunde zu spät, dass er an dieser Stelle eigentlich hätte lachen müssen. Also machte er beim Einatmen ein Geräusch, als müsse er nach Luft schnappen, um anzuzeigen, dass er sich vor lauter Heiterkeit auf der Erde wälzen würde, wenn nicht dieser ganze wahrhaft männliche Kraftaufwand ihn davon abhielte. Es war schwer zu sagen, ob dieses Manöver Eric überzeugt hatte. Er war stehen geblieben, um wieder zu Atem zu kommen, und hatte die Arme in die Hüften gestützt. Wie er da heftig keuchend dastand, mit der Baseballmütze, der Jagdjacke, dem Gewehr in der Armbeuge und den schlammverkrusteten Turnschuhen,sah er aus wie jemand, der eigentlich die Absicht gehabt hatte, sich als Landadeliger zu verkleiden, aber dann nach der Hälfte der Kostümierung die Lust verloren hatte.
    »… warten Sie … nicht … auf mich … gehen Sie … ruhig weiter … Ich rede mal mit den anderen«, sagte Eric. Die anderen Männer von Pinker Lloyd kamen in gemütlichem Tempo über das Feld in ihre Richtung gelaufen, angeführt von Lothar. Das Outfit, das er trug, war allem Anschein nach der letzte Schrei in der Outdoor-Bekleidung. Eigentlich sah er darin eher aus, als wollte er einen Orientierungslauf oder etwas Ähnliches absolvieren. Seine Oberbekleidung bestand aus Goretex in allen Farben des Regenbogens und schien zu sagen: »Wenn wir hier fertig sind, renne ich vielleicht eben noch nach London zurück.« Sie amüsierten sich offensichtlich alle köstlich. Auf die Jagd zu gehen war in der Londoner Finanzszene groß in Mode, und dieses Wochenende würde ordentlich Stoff zum Angeben liefern.
    Im nächsten Feld warteten die Treiber, die schon eine ganze Weile vor ihnen losgezogen waren. Der Plan sah vor, dass alle in der Nähe des Wäldchens stehen würden, um dann die hochfliegenden Fasane zu erlegen, die von den Treibern aufgescheucht wurden. Die meisten Fasane waren relativ zahm, und es war nicht gerade leicht, sie dazu zu bringen hochzufliegen, damit man sie wieder herunterschießen konnte. Sie würden so viele davon abknallen, dass am Ende viel zu viel Fleisch übrig blieb. Also vergrub man den Großteil der Fasane einfach. Ein Traktor würde

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