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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Sachen, bespritzte sich mit Cola oder stieß gegen den Türrahmen.
    Wenn er einen Ball am Fuß hatte, wurde alles noch viel schlimmer. Auf einem Spielfeld wirkte er einfach fehl am Platz. Seine dünnen Beine sahen in kurzen Hosen nicht nur lang und unbeholfen aus, sondern wirkten wie zwei Teleskopstangen mit einem Teilstück zu viel, oder wie Radioantennen, die man zu weitherausgezogen hatte. Und sein Oberkörper sah in einem Fußballtrikot auch nicht viel besser aus, denn es betonte seine abfallenden Schultern und seine schmächtige Brust. Sein Kopf war riesengroß, wodurch die Proportionen des Restes noch viel unstimmiger wirkten als ohnehin schon. Wenn er mit dem Ball lief, hatte man den Eindruck, als könnte er jeden Moment auf ihn treten und hinfallen, oder bei dem Versuch, ihn wieder einzuholen, stolpern, ihn versehentlich davonrollen lassen, oder ihn von seinem Schienbein oder seinem Knie oder seinem Knöchel unglücklich abprallen lassen. Seine Arme ruderten beim Laufen nach allen Seiten. Er sah aus wie eine Windmühle, eine Krake oder ein Zirkusclown. Wie ein Junge, der katastrophale Koordinationsstörungen hatte und jeden Augenblick stürzen konnte. Aber dann, wenn er ein paar Meter mit dem Ball gelaufen war und die Zuschauer sich in der Zwischenzeit nicht schon abgewandt hatten, fiel den meisten sehr bald etwas auf, nämlich, dass ihm der Ball eben nicht fortrollte. Es sah so aus, als sei der Ball immer im Begriff, außer Reichweite zu gelangen – aber das tat er nie. Und Freddy stolperte nicht, fiel nicht hin, und traf den Ball auch nie unglücklich, auch wenn es immer so schien, als würde das jeden Moment passieren. In einem Fußballspiel gab es zu diesem Zeitpunkt dann immer mindestens einen Verteidiger, der versuchte, sich auf den Ball zu stürzen, meistens dann, wenn der am weitesten von Freddys Fuß entfernt war, aber irgendwie, auf geradezu magische Weise, kam Freddy immer wieder in letzter Sekunde heran, als hätten sich seine Teleskopbeine plötzlich in die Länge gezogen. Dann lief er in Schlangenlinien um den mittlerweile bewegungsunfähigen Verteidiger herum, unbeholfen zwar, aber auch wie schwerelos. Und wenn sich ihm dann ein weiterer Gegner in den Weg stellte, tat er mit ihm das Gleiche, während er wild mit den Armen ruderte, immer im Begriff zu stolpern, zu fallen und den Ball zu verlieren, ohne es aber je zu tun. Und er machte es wieder und wieder und wieder, und spätestens jetzt wurde den Zuschauern klar, dass dieser komisch aussehende Junge nicht nurkein schlechter Fußballer war, und auch nicht einfach nur ein guter oder sehr guter Fußballer, sondern eine Ausnahmeerscheinung. Ein Tänzer, ein Athlet, eine Naturbegabung, ein Wunder an Balance, Timing, Geschwindigkeit und Koordination.
    Freddy hatte seinen großen Wachstumsschub mit dreizehn gehabt. Die Fähigkeit, gut zu spielen, hatte er immer schon besessen, aber jetzt kamen auch noch Größe und Geschwindigkeit hinzu. Vorher war es anderen Kindern oft langweilig geworden, ihm dabei zuzuschauen, wie er sie umrundete, als gäbe es sie gar nicht, und sie hatten ihn einfach getreten oder vom Ball weggeschubst. Dann hatte sich alles verändert. Freddy war damals erst vierzehn. Aber wenn er in der Nähe seines Hauses in Linguère Fußball spielte, konnte es vorkommen, dass eine Mutter, die einen Kinderwagen am Fußballfeld vorbeischob, stehen blieb, um ihm zuzuschauen. Oder ein Busfahrer ließ sich ablenken und verpasste die grüne Ampel. Andere Kinder hörten mit dem Spielen auf und kamen, um zuzuschauen. Die Wirkung auf Leute, die etwas von Fußball verstanden, war noch viel ausgeprägter. Sie blinzelten, fragten sich, ob sie das, was sie da gerade sahen, wirklich glauben konnten, und rieben sich die Augen. Der Scout, der Freddy schließlich entdeckte, war aufgrund des Anrufs einer seiner Kontaktpersonen angereist, die Freddy bei einem Schulturnier in der Provinzhauptstadt Louga gesehen hatte. Der Scout wohnte in Dakar, und es war für ihn wahnsinnig unpraktisch, für die drei Tage, die das Turnier dauerte, ins Landesinnere zu fahren. Aber der Mann, der ihn kontaktiert hatte, sagte ihm, er würde nie wieder ein Wort mit ihm sprechen, wenn er nicht sofort käme. Also fuhr er hin. Er war sich sicher, dass er sich an diesen Moment noch auf seinem Sterbebett erinnern würde. Erst hatte er sich geradezu angeekelt gefühlt, weil man ihn wegen dieser koordinationsgestörten Monstrosität, die über ihre eigenen Füße fiel, Hunderte von

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