Kapital: Roman (German Edition)
dem Spiel stand, und dass sie so direkt war. Petunia erwischte sich dabei, dass es ihr gefiel, wie viel mehr Notiz der Arzt jetzt von ihr zu nehmen schien, und nahm sich das selbst sofort übel.
»Das wäre schon möglich. Ich würde nicht sagen, dass es wahrscheinlich ist, aber es ist möglich. Und es ist auch etwas, das wir ziemlich schnell ausschließen können. Wir machen bei Ihnen eine Computertomographie, und dann wissen wir Bescheid.«
»Ist das die Untersuchung, wo man in so einen Tunnel hineingeschoben wird?«
Der Arzt lächelte nicht, aber seine Miene hellte sich etwas auf.
»Ja. Ich hoffe, Sie leiden nicht unter Klaustrophobie?«
Sie merkte an seiner Art, dass er diese Frage schon oft gestellt hatte.
»Ich kenne das aus dem Fernsehen«, sagte Petunia.
Der Arzt tippte wieder etwas in seinen Computer. Er gab Petunia einen Termin für die Tomographie, in zehn Tagen. Jetzt, da er im Begriff war, sie loszuwerden, wurde er plötzlich freundlicher. Er bat sie, ihm ihre Terminkarte zu geben, und trug das Datum ein.
»Also vergessen Sie das bitte nicht, ja?«, sagte er. Er versuchte, nett zu sein, und wirkte dadurch fast schon kokett. Petunia hatte einen so großen Teil ihres Lebens damit verbracht, mit einem schwierigen Mann klarzukommen und besänftigend auf ihn einzuwirken, dass sie jetzt gar nicht anders konnte, als mitzuspielen.
Sie fuhr im Aufzug nach unten und wartete dann vierzig Minuten, bis ein Taxi sie endlich nach Hause fuhr.
20
Als Usman am Freitag um Viertel nach vier in den Laden kam, war er ein wenig außer Atem. Shahid wartete hinter dem Tresen auf ihn. Obwohl er schon spät dran war, blieb Usman noch einen Moment in der Tür stehen. Er konnte sich einfach nicht an diese riesige Menge Zeugs gewöhnen, die hier im Laden fein säuberlich angeordnet, übereinandergetürmt und zu Stapeln geschichtet herumstand. Diese schiere Unmasse von Waren hatte etwas Widerliches und Unreines.
»Salaam, Arschloch«, sagte Shahid zu seinem Bruder. »Du kommst zu spät.«
»Tut mir leid. War der Verkehr. Die graben jede einzelne Straße in Südlondon um.«
»Und weil du zu spät bist, komme ich auch zu spät«, sagte Shahid, nahm seinen Mantel und hob die Klappe im Ladentisch hoch, damit er raus- und sein Bruder reingehen konnte. »Und wenn ich an einem Freitagnachmittag zu spät zum Gebet komme, dann bin ich bald kein Muslim mehr, und das ist dann deine Schuld.«
»Dafür müsstest du noch zwei weitere Freitagsgebete verpassen.«
»Wenn man sich auf einen so unzuverlässigen Knallkopf wie dich verlassen muss, ist das schnell passiert.«
»Ich hab doch gesagt, dass es mir leid tut«, sagte Usman und stellte sich hinter den Tresen. Seine Entschuldigung klang jedoch etwas halbherzig, denn er war sich keineswegs sicher, dass Shahid tatsächlich auf dem Weg in die Moschee war. Sie gingen in zwei verschiedene Moscheen, und Usman hatte keine Ahnung, wie regelmäßig sein Bruder beim Gebet erschien. Aber weil er sich mit Shahid im Gegensatz zu Ahmed einigermaßen gut verstand, wollte er lieber keine große Sache daraus machen.
»Bis späääääter«, flötete Shahid mit hoher Kinderstimme. Die benutzte er immer, wenn er sich von seinem kleinen Bruder verabschiedete. Beim Hinausgehen hielt er die Tür für eine Frau mit einem riesigen dreirädrigen Kinderwagen auf. Und im nächsten Augenblick war er auch schon verschwunden. Wie es der Zufall wollte, war Shahid tatsächlich auf dem Weg zur Moschee, um am Freitagsgebet teilzunehmen.
Die Brixton-Moschee hatte wegen ein paar Idioten einen schlechten Ruf bekommen. Die Rhetorik, die man dort benutzte, hatte schon immer einen etwas zornigen Unterton gehabt, auch wenn das am meisten für die Reden galt, die außerhalb des Gebäudes geschwungen wurden. Aber auch in der Moschee selbst ging es oft hitzig zu, und es ließ sich nicht leugnen, dass der Imam nicht gerade jedermanns Sache war. All das zog eine nicht unbedingt wünschenswerte Aufmerksamkeit auf sich, und Shahid fragte sich oft, wie viele seiner dortigen Gebetsbrüder in Wahrheit Undercover-Agenten, Informanten oder Provokateure des Geheimdienstes oder der Sicherheitspolizei waren. Das meiste davon hatte sich die Gemeinde selbst zuzuschreiben. Ein früheres Gemeindemitglied hatte versucht, mit einem Schuh voller Sprengstoff einen Transatlantikflug in die Luft zu jagen – und auch wenn man nur jedes zehnte Wort glaubte, das in den Medien der Kafirs stand: So etwas war eindeutig schlechte PR. Aber Shahid
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