Kaputt in El Paso
ankämpfte.
Über den Bildschirm flimmerten wellenförmige Linien.
»Was ist mit dem Fernseher los, Mom?«
»Das hat gerade erst angefangen«, sagte sie und blickte hinüber zur Küchentür. Ich wusste, was ihr durch den Kopf ging: War eine durch einen Tumor verursachte Halluzination in der Lage, Zebrastreifen auf dem Bildschirm zu erzeugen?
»Sonnenflecken«, sagte ich und gab ihr damit eine rationale Erklärung, an die sie sich halten konnte. »Der Wetterfritze hat schon davor gewarnt. Passiert wohl alle zehn Jahre oder so und lässt die Satelliten verrückt spielen.«
Ich zappte mich durch die Kanäle. Überall die gleiche schwarze Schraffur. Vielleicht hasste dieser Tumor-Jesus das Fernsehen und nahm Einfluss auf die Sonne. Trotz der Wellenlinien sah ich mir Jeopardy! an.
Als ich wieder aufstehen wollte, legte sie ihre Hand auf meine. »Uriah, geh doch mal zu Moses. Ich mache mir solche Sorgen um ihn.«
»Moses ist längst passé, Mom.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen und es tat mir leid, dass ich es gesagt hatte. »Das glaube ich nicht«, widersprach sie. »Geh zu ihm und sprich mit ihm. Sag ihm, er soll nach Hause kommen. Ich kümmer mich um ihn, bis es ihm wieder besser geht.« Für sie war Heroinsucht etwas, was man sich einfängt wie eine Grippe.
Ich versprach, zu ihm zu gehen.
Zehn
Ich saß auf den Verandastufen, als Jesaja auf den Hof fuhr. Er quälte sich buchstäblich aus dem Wagen, einem alten VW-Käfer. Jesaja wiegt mindestens 140 Kilo und ist knapp zwei Meter groß. Man könnte ihn durchaus für einen ehemaligen Linebacker aus der NFL halten. Tatsächlich war er Offensive Tackle in unserem Uni-Team gewesen, bis es eines Tages in seinem Knie gekracht hatte. Nicht nur das Auto, auch seine Kleidung schien zu klein für ihn zu sein. Er platzte schier aus den Nähten seiner UPS-Uniform. Seine Hosen sahen aus, als steckten Fässer darin.
Früher hatten Jesaja und ich uns ein Zimmer geteilt, dennoch gingen und gehen wir immer recht förmlich miteinander um. Er unterbrach fast den Blutzufluss in meiner Hand, als er sie mit seinen zigarrendicken Fingern drückte. »Was ist mit dem alten Herrn los, Uriah?«, fragte er.
»Sam will nicht ins Krankenhaus und hat sich Jesus als Verstärkung geholt.«
Jesajas Augen verengten sich zu Schlitzen. Er musterte mich. Als religiöser Mensch fand er höhnische Bemerkungen von Unwissenden gar nicht komisch.
»Es ist die Geschwulst«, sagte ich. »Deshalb halluziniert er ständig. Zipporah meint, dass ihm noch ein Monat bleibt, wenn er sich nicht behandeln lässt.«
»Und was sollen wir jetzt machen? Ihn gegen seinen Willen ins Krankenhaus bringen? Niemand bringt Sam Walkinghorse dazu, etwas zu tun, was er nicht will.« Er nahm seine Mütze ab, fuhr sich mit seinem dicken Unterarm über die schweißnasse, ebenholzfarbene Stirn und stieß einen tiefen Seufzer aus.
Jesajas leibliche Mutter war eine obdachlose Straßendirne gewesen. Im achten Monat schwanger, war sie in der Notaufnahme verstorben. Ihr Zuhälter hatte ihr mit einem Baseballschläger den Schädel eingeschlagen, weil sie in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte. Der Schock, Crack und venenerweiterndes Marihuana hatten ihren Blutdruck in den einstelligen Bereich sinken lassen. Den Notärzten war es nur knapp gelungen, Jesaja per Kaiserschnitt auf die Welt zu holen, bevor das Ableben seiner Mutter seinen Tod nach sich ziehen konnte. Das alles hatte Jesaja aus eigenem Antrieb herausgefunden. Er hatte genau wissen wollen, wie sein Handicap war, bevor er das Spiel des Lebens so richtig in Angriff nahm. Mich hatte mein Handicap nie interessiert. Als Kind hatte ich mir romantische Geschichten ausgedacht, um mir zu erklären, weshalb meine Eltern mich im Stich gelassen hatten. Diesen Geschichten zufolge waren meine Fabel-Eltern edle Menschen, die mich aus berechtigten Gründen zur Adoption freigeben mussten. Mir war klar, dass die Wahrheit – sofern ich jemals darauf stoßen sollte – alles andere als begeisternd wäre. Musste man sich das geben? Jesaja schon. Er hatte seine Wurzeln finden wollen, um, auf welchen Trümmern auch immer, sein Leben aufbauen zu können.
Jedes Mal, wenn ich daran denke, berührt es mich aufs Neue, was für ein moralisch aufrechter und gutherziger Riese er geworden ist, trotz seiner düsteren Anfänge. Jesaja ist Diakon in seiner Kirche, ehrenamtlich in seiner Gemeinde tätig, ein treuer Ehemann und geduldiger Vater von sechs Kindern. Es musste mit den Genen
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